Studierende reden viel und gerne, nicht aber über psychische Krisen. Und das, obwohl sie stark betroffen sind. Besonders in Zeiten der Isolation.

Eine neue Stadt, ein neuer Studiengang, ein ganz neues Umfeld – was anfangs spannend und aufregend klang, verwandelte der Lockdown für Lara* in eine große Herausforderung. Im März 2020 zog sie für ihren Master nach Göttingen, pünktlich zu Beginn der Kontaktbeschränkungen. Rückblickend erzählt sie, wie einsam sie sich in dieser Zeit gefühlt hat.

Damit ist sie nicht allein: Ein neues Gutachten des Sozialverbands Deutschland befindet, dass junge Menschen in der Pandemie besonders an Einsamkeit leiden. Laut einer Online-Studie von Kaspersky zum ersten Lockdown haben sich in Deutschland 62 Prozent der ab 1994 Geborenen isoliert gefühlt, was somit die am Stärksten betroffene Altersgruppe war. Und das, obwohl sie häufig als der gesündere Teil der Bevölkerung gelten. Mit Einsamkeit gingen zudem oft andere psychische Krisen und Erkrankungen einher. Beide sind keine Seltenheit unter Studierenden. Laut dem Barmer Ärztereport von 2018 ist jede*r sechste von einer psychischen Erkrankung betroffen, Tendenz stark steigend. Generell sind Jugendliche und junge Erwachsene häufig von psychischen Krankheiten betroffen: 75 Prozent aller psychischen Erkrankungen beginnen in dieser Zeit, so auch Manuela Richter-Werling von Irrsinnig Menschlich e.V.. Bereits ohne Pandemie spielten Stress und Unsicherheiten während der Studienjahre dabei eine wichtige Rolle.

Holger Walther von der psychologischen Beratungsstelle für Studierende an der Humboldt-Universität zu Berlin fügt hinzu, dass das Online-Studium viele neue Herausforderungen mit sich bringe. Die Trennung von Privat- und Arbeitsräumen, die vorher gegen Lernschwierigkeiten halfen, fiele weg, und es mangele an sozialer Interaktion. „Was vielen fehlt ist, was so nebenbei geschieht. Dieses nach dem Seminar gemeinsam zur Mensa zu gehen und auch noch miteinander zu plaudern. Im Home-Office oder wenn ich zuhause bin, ist Stille, sobald die Zoom-Sitzung beendet ist.“, so Walther. Die Rücksprache mit anderen Studierenden entfällt.

Besonders in Corona-Zeiten seien wir „zurückgeworfen auf die eigene Beurteilung. Das widerspricht dem sozialen Wesen, was sich immer auch die Beurteilung von anderen einholt, um zu einem Gesamtbild zu kommen. Und wenn ich sowieso schon ein kritisches Bild von mir habe, nämlich ‚Ich kann sowas nicht so gut‘, dann verfestigt sich diese Meinung.“ Walther betont in dieser Hinsicht den hohen Stellenwert von Gemeinschaft für Menschen.

Schwierigkeiten gar nicht zu thematisieren und sie in sich selbst hineinzufressen ist kein Weg, sie zu beseitigen. Dadurch, dass wir unsere mentale Gesundheit unsichtbar halten, wird sie unterschätzt. Dass eine Erkrankung nicht sichtbar ist, bedeutet allerdings nicht, dass sie nicht existiert. Für einen verstauchten Fuß gibt es häufig mehr Verständnis. „Psychische Erkrankungen werden in der Reihenfolge oft als schlechtere Erkrankungen gesehen und oft denken Menschen, dass man schuld daran sei, dass man sich schlecht verhält, weil man ein schlechter Mensch ist, weil man eine schlechte Erziehung bekommen hat. Dabei kann das jeder Mensch kriegen und es gibt Zeiten, wo das häufiger vorkommt“, so Richter-Werling. Das kann ein Gefühl von Einsamkeit zur Folge haben, andererseits kann Alleinsein psychische Erkrankungen auch verstärken.

Das Gutachten vom Sozialverband macht außerdem auf weitere gesellschaftliche Ungleichheiten aufmerksam, die mit Einsamkeit zusammenhängen. Der sozio-ökonomische Status, also wie viel Geld einer*einem zur Verfügung steht und ob die Wohngegend eine gute Infrastruktur und Begegnungsorte wie Bibliotheken bietet, beeinflusst das Empfinden von Isolation und sozialer Exklusion maßgeblich. Und auch Mobilität spielt eine wichtige Rolle, weshalb Menschen mit Be_hinderung, chronisch kranke Personen und Pflegebedürftige zusätzlich von Einsamkeit bedroht sind. Auch queere Menschen sind häufiger einsam, wenn ihre Familie ihnen nicht unterstützend zur Seite steht, wie aus der aktuellen Ausgabe des queeren Stadtmagazins Siegessäule hervorgeht.

Für die aktuelle Situation berichtet Lara aber von kleinen Dingen, die ihr geholfen haben, mit Krisen umzugehen. Sich aufzuraffen, rausgehen, Freund*innen treffen, oder doch den Abend mit den Mitbewohner*innen am Küchentisch verbringen, könne Gedankenschleifen durchbrechen. Bei Einsamkeit helfe es außerdem, Initiative zu ergreifen, unter Umständen auch über kreative Wege, so Lara. Briefe schreiben, gemeinsam online einen Film ansehen und sich danach darüber unterhalten – das alles sind kleine, aber hilfreiche Aktivitäten. „Es ist wichtig, das zu pflegen und wahrzunehmen, was gut läuft. Dann hat man auch viel mehr Lust, das andere noch zu verbessern“, bestätigt Richter-Werling. „Und das kann man trainieren, jeden Tag: Was war heute schön, was ist mir gelungen“

Diese Schritte können helfen, den Weg aus Tiefs zu finden. Bei vielen Menschen kommt es aber auch zu langfristigeren, hartnäckigeren psychischen Erkrankungen, die sich nicht schlicht durch Spazierengehen und Filme sehen beseitigen lassen. In solchen Fällen können Professionelle wie Holger Walther weiterhelfen, indem sie Betroffene an psychotherapeutische Behandlungsstellen vermitteln, mit denen individuelle Lösungen gefunden werden. Auch hier gilt: Man muss damit nicht allein sein, ganz gleich, wie schwerwiegend Probleme scheinen. Sich Hilfe zu suchen ist nie falsch.

*Name geändert


Dieser Text ist Teil unseres Themenschwerpunktes Mentale Gesundheit. Alle Texte sind hier zu finden.

Wer Hilfe sucht, kann sie hier finden:

Telefonseelsorge: telefonseelsorge.de (0800.1110111/ 0800.1110222)
Psychologische Studierenden-Beratung an der HU: https://www.hu-berlin.de/de/studium/beratung/psyber
Studierendenwerk Berlin: stw.berlin/beratung (+49 (0)30 93939 8401/ +49 (0)30 93939 8438)