Nicht Geld sondern ein erfülltes Leben macht glücklich. Das ist Botschaft des Buches “Big 5 For Life”. Dass sich das nicht jeder Mensch (finanziell) leisten kann, wird dabei außer Acht gelassen.

John Streleckys Big 5 For Life ist ein Ratgeber für ein erfülltes Leben. Dies beruht auf dem Konzept, dass wir uns Job und Arbeitgeber*innen nach unseren persönlichen Zielen und Lebenssinn aussuchen sollten, um keine Zeit für Belangloses zu vergeuden. Der Erfolgsautor der Café am Rande der Welt-Reihe – mit aktuell vier Büchern in der Spiegel-Bestsellerliste, zwei davon seit weit über 200 Wochen – stellt dar, dass wir, indem wir tun, wofür wir brennen, motivierter und produktiver würden, was gleichzeitig die Profite des Unternehmens erhöht.

Dass nicht Geld, sondern Selbstverwirklichung langfristig zu Glück führt, erfahren wir aus diversen arbeitspsychologischen Modellen. Trotzdem bleiben bei Streleckys Konzept wesentliche Aspekte unbeachtet. Zum einen findet nicht jede*r seinen/ihren Sinn des Lebens oder eine Bestimmung und schon gar nicht zum Eintritt ins Berufsleben. Außerdem verändern sich Ziele und Wünsche meistens im Laufe des Lebens oder werden durch neue ersetzt, sobald sie erfüllt wurden. Nehmen wir jedoch an, wir hätten diesen Lebenssinn gefunden, und jede*r böte an, wofür er/sie brennt, dann wäre der Markt kaum ausgeglichen und wichtige Stellen im Niedriglohnsektor knapp besetzt.

Doch nicht jede*r kann sich leisten, das zu tun, wovon er/sie träumt, oder gar über einen höheren Sinn nachzudenken, wenn gewisse Grundbedürfnisse nicht erfüllt, zum Beispiel wenn finanzielle Zwänge vorhanden sind. Sich die Miete, ausreichend Kleidung und Lebensmittel und vielleicht einen Urlaub im Jahr leisten zu können, ist erstmal wichtiger – Gedanken an einen Zweck ihrer Existenz können sich viele gar nicht erlauben.

Darüber hinaus ist das im Buch dargestellte Ideal der Selbstverwirklichung ein sehr egozentriertes Modell. Die Situation der Mitmenschen ist bei der Verwirklichung eigener Ziele völlig irrelevant und Kapitalismus und der Wunsch nach Karriere werden vorausgesetzt. Jene, die nicht arbeiten wollen, oder deren Sinn des Lebens sich nicht in der Arbeit findet, werden von der Theorie ausgeschlossen.

Hier wird das generelle Problem von Ratgebern jeglicher Art sichtbar: Sie versuchen, die breite Masse unterzubringen, lassen aber Abweichungen außer Acht. Dabei sind Menschen zu unterschiedlich, um sie einem einzigen Muster unterzuordnen. Dennoch ist Streleckys Appell ein wichtiger Aufruf, unseren Job nach tiefergehenden Kategorien auszuwählen, als diejenige, ob er unsere Rechnungen begleicht – zumindest für diejenigen, die es sich leisten können …


Dieser Text ist Teil unseres Themenschwerpunktes Mentale Gesundheit. Alle Texte sind hier zu finden.

Wer Hilfe sucht, kann sie hier finden:

Telefonseelsorge: telefonseelsorge.de (0800.1110111/ 0800.1110222)
Psychologische Studierenden-Beratung an der HU: https://www.hu-berlin.de/de/studium/beratung/psyber
Studierendenwerk Berlin: stw.berlin/beratung (+49 (0)30 93939 8401/ +49 (0)30 93939 8438)