Eine Fremdsprache verbinden wir mit beruflichem Erfolg – aber Panik? Foreign Language Anxiety trifft besonders internationale Student*innen hart. Medizinstudent Aryan* erzählt, wie ihn seine Sprachangst an den Rand der Verzweiflung brachte und was wirklich hilft.
Aryan sitzt vor dem Prüfungskomitee. Schwer atmend zieht er die trockene Luft des Raumes ein, seine Zunge schmeckt nach Pappe. Er will in Deutschland Medizin studieren und muss dafür den Test für Deutsch als Fremdsprache bestehen. Bei seinem ersten Versuch ist er durch das Sprachmodul gefallen. Was ihm zum Verhängnis geworden ist: Die schwierige deutsche Aussprache. Jetzt steht der zweite Versuch an. Sein Herz schlägt spürbar, sein Atem geht unregelmäßig. Während er noch über die gestellten Fragen der Prüfer*innen nachdenkt, ist sein Mund bereits um die Sprache bemüht, die er für die Antwort braucht. Aryan hat Foreign Language Anxiety (FLA), die Panik, die beim Sprechen einer Fremdsprache auftritt.
Und damit ist er kein Einzelfall. Jeder Mensch eignet sich in seiner Jugend einen eigenen Sprachstil an, meistens in der jeweiligen Erstsprache. Diesen Stil in anderen Sprachen zu imitieren, funktioniert selten. So fühlen sich Fremdsprachen gekünstelt an, besonders, wenn man sie noch nicht besonders gut beherrscht oder Umgang mit ihr fehlt.
Muss man also einfach genug lernen, um sich von der Angst zu befreien?
Nein. Auch für geübte Sprecher*innen, die in der Fremdsprache eigentlich über einen breiten Wortschatz verfügen, kann FLA eine echte Herausforderung darstellen. Denn Angst ist selten rational. Sophie Belardi von der psychologischen Beratungsstelle der Technischen Universität Berlin beschreibt FLA als „deutlich spürbares Unwohlsein beim Erlernen oder Sprechen einer Fremdsprache”. Sie sei zwar verwandt mit Prüfungsangst, aber stelle eine spezifische Form der sozialen Angst dar – mit einem klaren sprachbezogenen Fokus.
Dieses Konzept basiert auf Forschungen der Bildungswissenschaftlerin Elaine K. Horwitz. Laut ihr äußere sich FLA durch Anspannung, Nervosität, Unsicherheit. Besonders beim Sprechen, aber auch beim Lesen, Hören oder Schreiben. Sie trete vor allem auf, wenn Lernende das Gefühl haben, nicht sie selbst zu sein. Die Angst basiere auf dem Konflikt, dass sich Erwachsene in ihrer Erstsprache als kompetent und sozial souverän erleben, in der Fremdsprache dagegen oft als unbeholfen, langsam oder weniger intelligent. Bestellt man auf Englisch ein Eis, treten meist keine Probleme auf. Doch ein neues Unternehmenskonzept oder eine philosophische Theorie erklären? In einer Fremdsprache ist das deutlich schwieriger. FLA wirkt hier also durch die Angst vor dem Verlust sozialen Ansehens. Auf Deutsch noch Chefarzt gewesen, stottert man auf Englisch plötzlich bei der Wegbeschreibung zum Bahnhof.
Diese Verunsicherung ist nicht selten: Laut Sophie Belardi war Angst in rund 25 Prozent aller Erstgespräche bei der psychologischen Beratungsstelle im letzten Jahr ein zentrales Thema. Besonders internationale Student*innen berichten immer wieder davon, dass sie sich in der Fremdsprache nicht mehr als vollständige Person erleben.
Trotz der Foreign Language Anxiety besteht Aryan den zweiten Prüfungsanlauf und zieht zum Studieren nach Berlin. Doch schon am Flughafen wechseln seine Gesprächspartner*innen ins Englische, sein Akzent verrät ihn. Dann kann er es doch gleich lassen. Seine Leistungen in der Fremdsprache Deutsch werden immer schlechter. FLA und die sprachlichen Fähigkeiten seien eng verknüpft, erklärt Aryan. Das eine bedinge das andere. In beide Richtungen. Die Angst hemme die Leistung, die schlechte Leistung verstärke die Angst. Ein Teufelskreis. Expert*innen sprechen von einem „emotionalen Rückkopplungseffekt”, der nur schwer durchbrochen werden kann. Auch Belardi bestätigt: „FLA kann sich negativ auf die Lernleistung auswirken, vor allem wenn sie mit einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten einhergeht.“ Wer nicht mehr spricht, nicht mehr fragt, nicht mehr zuhört, verliert den Anschluss. Fachlich und sozial.
Die Dozent*innen an der Uni machen es Aryan nicht leichter. Jetzt geht es nicht mehr nur um Deutsch im Alltag. Im Medizinstudium wird erklärt, wie der menschliche Körper funktioniert. Für Deutsch-Muttersprachler*innen schon nicht einfach. Aryan sucht sich Hilfe. In jeder Vorlesung ist der Google-Übersetzer in einem weiteren Tab offen und darf Wörter wie „Lymphdrüsenkarzinom“ übersetzen. Die Foreign Language Anxiety hält sich hier noch in Grenzen.
Im zweiten Semester steht allerdings das erste Referat an. Aryan lernt bis tief in die Nacht jeden deutschen Satz auswendig, damit es zu keinen Fehlern kommt. Das funktioniert zwar, die Angst vor Fragen nach der Präsentation bleibt. Besonders das spontane Sprechen unter Beobachtung gilt als stärkster Trigger von FLA. Laut Horwitz sind mündliche Prüfungsformate oder Vorträge die häufigsten Angstauslöser. Vor einer Gruppe, unter Beobachtung, in Echtzeit – das setzt viele Lernende massiv unter Druck. Schon ein kleiner Fehler scheint zur Katastrophe zu führen. Kommunikation wird hier zur Bühne, mit hohem Druck auf Performanz und Korrektheit.
Gerade perfektionistische Einstellungen können FLA verstärken, so Sophie Belardi. Auch vergangene Lernerfahrungen, etwa sanktionierender Unterrichtsstil, Ausgrenzung oder hohe Erwartungen von Bezugspersonen, spielen eine Rolle.
Aryan ist mittlerweile im siebten Semester. Er schaut auf eine mehr als dreijährige Entwicklung zurück. FLA hat er nicht mehr. Was ihm besonders geholfen hat, sind Freunde mit dem gleichen Problem. Mit ihnen konnte er sich bei Verständnisproblemen und Unwohlsein austauschen.
Der soziale Faktor ist entscheidend: Laut Horwitz helfen ein vertrauensvolles Lernklima, verständnisvolle Lehrpersonen, realistische Aufgabenstellungen, kleine Gruppenarbeiten. Wer Fehler machen darf, lernt entspannter.
Die Empfehlung von Belardi: Mehr Raum für wertungsfreies Üben, weniger soziale Vergleiche, mehr Fehlertoleranz – all das wirke präventiv. Besonders wichtig sei es, die Angst nicht durch Vermeidung zu verstärken. Stattdessen sollten Betroffene gezielt sprachliche Situationen aufsuchen, sich vernetzen, eigene Denkmuster hinterfragen.
Also: Direkt auf Englisch zu kommunizieren kann zwar auf den ersten Blick helfen, auf lange Sicht fördert es die Angst aber nur. Vielmehr sollte für eine fehlerfreundliche und offene Atmosphäre gesorgt werden. Um FLA zu verhindern oder zumindest zurückzuschrauben, ist das essenziell.
Foreign Language Anxiety ist mehr als nur Lampenfieber beim Sprechen. Sie kann Lernwege blockieren, Selbstbilder in Frage stellen und langfristig das Vertrauen in die eigene Kompetenz untergraben. Doch sie ist überwindbar – durch Verständnis, Unterstützung und Geduld. Nicht nur bei Aryan.
*Name von der Redaktion geändert
Foto: Alex Vámos.