Wirtschaft, Verbrechen und Familiendrama: Wes Anderson schickt in „The Phoenician Scheme“ einen zwielichtigen Geschäftsmann und eine angehende Nonne durch sein einzigartiges Universum.

Wie lassen sich die Filme des US-amerikanischen Regisseurs und Drehbuchautors Wes Anderson am einfachsten erkennen? Ist es die Liebe zum Detail, die unvergleichbare Ästhetik, die symmetrische Kameraeinstellung oder die harmonische Farbpalette? Es steht außer Frage, dass Andersons Filme mit ihrem außergewöhnlichen filmographischen Stil längst eine eigene Kategorie darstellen. Anderson hält sich nicht gern an die klassischen Regeln des modernen Kinos. Sein inzwischen schon ikonischer Stil prägt auch den neuesten Film „The Phoenician Scheme“ und gibt Kinogänger*innen, was sie von ihm kennen und an ihm schätzen. Die Anderson-Handschrift zieht sich durch seine Arbeiten und Schauplätze, ob das Hotel in Budapest, den Darjeeling Express, die Wüstenstadt Asteroid City oder nun eben die mysteriöse Region Phönizien. Anderson versteht es, seinen Stil mit immer neuen Ideen zu beleben. Gleich in der Titelsequenz entfaltet sich sein ganz selbstverständlicher Surrealismus: Hauptfigur Zsa-Zsa Korda liegt in seiner Badewanne. Auf den zweiten Blick entpuppt sich das Badezimmer als opulent ausgestatteter Rückzugsort. Im Bidet kühlt eine Flasche Champagner, aus der Ecke erklingt ein Plattenspieler, während fast ein halbes Dutzend Krankenschwestern um den Müßiggänger geschäftig hin- und herlaufen – eine Szene, in der Andersons Hang zu skurrilen Details und präziser Choreographie sofort spürbar wird.

Für eine Stunde und vierzig Minuten taucht das Publikum in die Welt Andersons ein. Da fühlt es sich bald wie vor einem Puppenhaus platziert. Wir sehen atemberaubende Szenenbilder, detaillierte Kostüm- und Set-Designs, eine ausgeklügelte Inszenierung der Schauspieler*innen, spüren den Rhythmus der Dialoge in Verbindung mit der Musik. Andersons Filme sind eben für die ganz große Leinwand gemacht, ähneln zugleich aber auch einer aufwändigen Theaterinszenierung. 

Der Vater-Tochter-Road-Movie folgt dem quasi unsterblichen Tycoon Korda (Benicio Del Toro), der nach mehreren Nahtoderfahrungen beschließt, die gewitzte Liesl (Mia Threapleton) zur Probe zu seiner alleinigen Erbin zu machen. Die Tochter – wieder eine von Andersons kuriosen Konstruktionen – ist zu Beginn des Films Novizin.

Als das Familienunternehmen des windigen Geschäftemachers ins Wanken gerät, begeben sich Vater, Tochter und der schräge norwegische Insektenforscher Bjørn Lund (Michael Cera) auf eine Reise durch Phönizien. Irgendwie muss möglichst schnell Papa Kordas Finanzierungslücke geschlossen werden.

Eine Odyssee beginnt. Auf den Etappen sehen wir die Protagonist*innen beim Deal in einem Hinterzimmer einer Marseiller Tanzbar, ein Basketball-Match gegen Businesspartner Leland (Tom Hanks), Helikopter-Action über Dschungel-Palmen und den zwielichtigen Zsa-Zsa in traumartigen Sequenzen vor dem Jüngsten Gericht: Alles ein Teil von Kordas absurdem Kosmos.

Bei aller Kontinuität: „The Phoenician Scheme“ hebt sich von den bisherigen Werken Andersons ab. Wer den Film „Isle of Dogs“ von 2018 verpasst hat, weil er nun einmal ein Animationsfilm war, wird hier überrascht, denn mit seinem neuesten Film wagt sich der Regisseur auf ungewohnte Pfade, wenn er sich mit Themen wie Politik, Kapitalismus und Religion auseinandersetzt. Durchaus unüblich für den texanischen Filmemacher.

Gleichzeitig beweist er sein einzigartiges Händchen bei der Besetzung des Ensembles: Tom Hanks spielt den aalglatten Businessmann Leland, Benedict Cumberbatch gibt den grimmigen Onkel Nubar mit Rasputin/Castro-Rauschebart. Mia Thropelton in der Hauptrolle bringt mit charismatischem Auftreten und ironischer Miene Schwung und Humor in die Geschichte. Nebenbei bemerkt, fällt es auf, wie wichtig es offenbar für Schauspieler*innen ist, sich in einem Wes Anderson Film zu zeigen. So kann der Regisseur wieder geradezu verschwenderisch Stars wie Bill Murray, Charlotte Gainsbourg, Scarlett Johansson und Bryan Cranston einfach mal so in seine herrlichen Filmtableaus hinein würfeln.

Vor allem verfolgt „The Phoenician Scheme“ die Entwicklung von Vater und Tochter. Die zu Beginn noch brave Novizin übernimmt im Lauf des Films Eigenheiten ihres durchtriebenen Vaters. Zsa-Zsa und Liesl ergänzen sich und werden zum Tochter-Vater Duo. Wo Korda in brenzligen Situationen bei seinem entspannten „I myself feel very safe“ bleibt, zückt Ex-Glaubensschwester Lisl angriffslustig den mit Juwelen besetzen Dolch. Ganz klar: Mit so einer couragierten Tochter übersteht Zsa-Zsa jede Nahtoderfahrung.


Illustration: Emmylou Goldstein