Selbsthass hat viele Gesichter – darunter auch ein lachendes. In der Welt des Humors dient dies nicht nur der Unterhaltung, sondern wird auch als kollektives Ventil und Bewältigungsstrategie genutzt. Hinter dem Lachen jedoch verbergen sich Fragen nach den Grenzen dieses Humors und den potenziellen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das gesellschaftliche Selbstverständnis.
„Ich sage vor neun Uhr morgens schon mehr dumme Dinge, als andere Leute den ganzen Tag.“ Wenn ein Freund diesen Satz äußern würde, käme bei mir schnell der Drang auf, ihn in den Arm zu nehmen, vehement sämtliche Selbstzweifel zu dementieren und möglicherweise ein ernsthaftes Gespräch über sein Selbstwertgefühl anzustoßen. Wenn Chandler Bing aus der 90er-Jahre-Sitcom „Friends” diesen Satz sagt, lacht ein ganzes Publikum im und vor dem Fernseher. Im Privaten wirkt Selbsthass eher traurig und beunruhigend, oftmals sogar mitleiderregend. Auf der Bühne jedoch verwandelt er sich schnell zu einem effektiven humoristischen Werkzeug.
Im Englischen wird diese Art des Humors als „self-deprecating“ (auf deutsch „selbsterniedrigend”) bezeichnet. Comedians teilen intimste Details aus ihrem inneren Erleben und machen dabei die eigenen Mängel zur Hauptattraktion. Das ist letztendlich eine Form der Selbsterkenntnis, jedoch nur in Bezug auf die negativen Eigenschaften oder Fähigkeiten. Und während humoristische Selbsterniedrigung schon seit Jahrzehnten ein Teil der Comedy-Szene ist, fand sie in den letzten Jahren auch immer mehr Einzug in die Welt der Social Media-Memes. Besonders in der Gen-Z sind Witze über die eigenen Unzulänglichkeiten beliebt, gepaart mit lustigen Bildchen aus der Popkultur. Aussagen wie „Wer braucht schon Schlaf, wenn man innerlich tot ist?“ stoßen dort nicht auf digitale Stille oder besorgte Nachfragen, sondern auf zahlreiche Likes und lustige Kommentare.
Selbsthass im Humor ist somit nicht nur ein künstlerischer Stil, sondern auch ein soziales Phänomen.
Die Gründe, warum dies so gut funktioniert, sind vielzählig: Die vermeintliche Authentizität des Sprechenden sowie der Schockfaktor des Gesagten führen zu einem stärkeren Gefühl der Verbundenheit – gemeinsames Lachen über unsere menschlichen Komplexe schweißt zusammen. Unperfektheit und Unsicherheiten werden normalisiert, die schlechten Gedanken und Gefühle in einem lustigen Rahmen geteilt und dadurch weniger schwerwiegend.
Wenn wir alle darüber lachen, dann kann es doch gar nicht so schlimm sein, oder?
Dies hat nicht nur den Charme der Beschönigung, sondern dient auch als Schutzschild für diejenigen, die sich selbst aufs Korn nehmen. Frei nach dem Motto: „Niemand kann mir wehtun, wenn ich es selbst zuerst sage“ wird der selbsterniedrigende Witz zu einer Rüstung gegen potenzielle Angriffe und Schamgefühle. Er bringt somit nicht nur andere zum Lachen, sondern kann auch als Bewältigungsstrategie dienen: In einer Art Katharsis werden auf Meta-Ebene die eigenen Unsicherheiten verarbeitet und akzeptiert.
Doch gerade auf Social Media ist dieser Humor eng verbunden mit Witzen über psychische Erkrankungen. Ein Reddit-User schreibt beispielsweise: „Ich nutze Memes und selbsterniedrigenden Humor, um meine schwere Depression zu überdecken“ – abgerundet mit einem befreienden Lach-Emoji. In einem anderen Meme heißt es: „Wenn deine Persönlichkeit nur noch aus selbsterniedrigendem Humor besteht und du gar nicht mehr weißt, wie du eigentlich deine Gefühle ausdrückst“.
Dadurch entsteht ein schmaler Grat zwischen heiterer Selbstironie und dem Bagatellisieren ernsthafter Probleme.
So kann letztendlich auch ein ungesunder Abwehrmechanismus entstehen, der negative Gedanken und Emotionen verstärkt und die Grenzen zwischen Lachen und Selbstschädigung verschwimmen lässt.
Humor ist zweifelsohne ein gutes Mittel, um mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen. Inmitten einer Welt, die immer mehr nach Perfektion strebt, kann das gemeinsame Lachen über die eigenen Schwächen befreiend und heilsam wirken. Die Bedürfnisse hinter diesen Witzen und die Notwendigkeit eines offenen Dialogs über mentale Gesundheit dürfen dabei aber nicht aus den Augen verloren werden – ernsthafte Gespräche über die eigenen Emotionen bleiben genauso bedeutsam wie ihre Belustigung.
Illustration: Lotte Marie Koterewa