Die UnAuf ist zu Gast in Kiew.  Vor vier Jahren starben junge Ukrainer*innen auf dem Maidan im Kampf gegen die Korruption und für die Freiheit. Davon ist heute in Kiew fast nichts mehr zu sehen. Nur die vielen Soldaten im Stadtbild erinnern daran, dass im Osten  immer noch Krieg herrscht. Doch hinter den Kulissen arbeiten unzählige junge Aktivist*innen daran, die Revolution in den Köpfen weiterzutreiben. Fünf UnAuf-Redakteure begeben sich fünf Tage lang auf Spurensuche

Tag Eins

Ankunft in Kiew am 10.10, 15 Uhr Ortszeit. Die eindringliche Warnung im Ohr, keinem Taxifahrer zu trauen, nehmen wir ein Uber in die Stadt. Welcome to Kiew. Entlang der Straße stehen Häuser über Häuser, Wohnblöcke, aufgereiht wie ein Gebiss, weiß, grau, braun und fleckig, die ihre Kronen emporrecken, soweit das Auge reicht.

Unser Zimmer löst von innen ein Versprechen ein, was es von außen niemals halten könnte. Das Wohnzimmer ist in einem warmen Blau gestrichen, der Kronleuchter an der Decke versprüht barocken Charme und die Betten sind gemütlich. Nur der wellblechverpackte Balkon neigt sich beängstigend in die Schräge.

Nur, für Gemütlichkeit bleibt keine Zeit. Die städtische Metro führt uns in die Eingeweide von Kiew. 150 Meter unter der Erde rütteln wir zu unserem ersten Termin, zum ersten öffentlich-rechtlichen Sender der Ukraine, dem Nazionalna Suspilna Teleradiokompanija Ukrajiny. Einsam hebt sich das Sendegebäude vor dem heraufziehenden Sonnenuntergang inmitten eines Parks ab.

Wir treffen Oleksandra Ochman, eine junge Journalistin, die uns durch das Gebäude, die Redaktionsräume und Studios bis aufs Dach führt. Leben als Journalistin in Kiew? Zum Leben reicht es gerade so. Aber die Redaktion ist jung und motiviert. Nur das Geld, das sitzt wie immer knapp. Die versprochenen 0,2 Prozent des Staatshaushalts gab es dann letztlich doch nicht, nur zur Hälfte hat es gereicht. Pressefreiheit? Die Ukraine ist nicht Usbekistan. Immerhin. Volles Programm am ersten Tag. Erst einmal kurz ausatmen

Am Abend gehen wir mit Helen, unserem Anker in die Kiewer Kulturszene, Richtung Maidan, Schauplatz der Revolution von 2014. Von dort ist es nicht weit bis zum Denkmal der Völkerfreundschaft zwischen der Ukraine und der Sowjetunion. Anspruch und Wirklichkeit können in Kiew nur wenige hundert Meter auseinanderliegen.

Inmitten der Stadt atmet dunkel der Dnepr, ein Fluss breit wie ein See, der die Stadt in zwei Hälften teilt. Wie ein Fluss aus Beton fräsen auch die breiten Boulevards ihre Schneisen entlang sowjetischer Prachtbauten.  Straßen, geschaffen für Panzerkolonnen und Paraden, die Auge und Schritt keinen Fluchtpunkt bieten. Kreuzungen gibt es nicht, da ist nur dieses schnurgerade Band, das sich  weiter und weiter, ohne Ende erstreckt.

Durch diese Hauptschlagader Kiews fließen Autos wie Blutkörperchen in einem unablässigen Strom. Darunter verläuft ein verzweigtes Kapillarsystem aus Unterführungen und tunnelartigen Einkaufsstraßen. Um welches Zentrum die Stadt allerdings kreist, bleibt uns verborgen, noch suchen wir Kiews Herz.