Endstation: Berlins wildeste Galerie
Wir machen uns auf den Weg ans Ende unserer Welt. Zurückbleiben bitte! Heute: Mit der S2 nach Bernau.
Vom Bahnhof aus sind es nur wenige Meter, die mich von meinem Ziel trennen: dem verlassenen Gelände des ehemaligen Heeresbekleidungshauptamtes. Genau hier, mitten in den Ruinen einer längst vergangenen Zeit, befindet sich die beeindruckendste Street-Art-Galerie Berlins. Auf den drei Etagen des verwahrlosten Gebäudes lassen sich die verwilderten Hinterlassenschaften von Künstler*innen bestaunen, die von einfachem Vandalismus bis zu atemberaubenden Kunstwerken reichen.
Die Türen sind längst aufgebrochen. Das Glas der Scheiben bricht unter meinen Schritten, die Geländer im Treppenhaus fehlen. Sicher ist hier nichts. Besonders fesselt mich ein mosaikartiges Gemälde, das sich über eine der gewaltigen Wände erstreckt: Sieht aus wie ein Cover von The Rising Tide der Linkin Park-Ausgliederung Fort Minor. Gelegentlich höre ich Schritte Anderer durch die Flure hallen. Zu sehen ist niemand.
Von der Geschichte, die in den Mauern dieser Ruinen steckt, ahnt man kaum noch etwas. Zur Zeit des Zweiten Weltkrieges waren hier unter der Führung der Nationalsozialisten rund 1.300 Mitarbeiter mit der Lagerung und Verwaltung von Wehrmachts-Uniformen beschäftigt. Nach dem Krieg fand das Areal bis 1991 als Versorgungsdepot sowjetischer Streitkräfte Verwendung. Seitdem ist der Gebäudekomplex sich selbst überlassen und dient als Leinwand für Verwitterung und Graffiti-Künstler*innen.
Bisher lässt sich das alles noch ohne Anstrengung bestaunen. Trotz provisorischem Zaun kann das Areal längs der Schwanebecker Chaussee über eine unscheinbare, ruhige Neubausiedlung problemlos betreten werden. Es wird allerdings nicht mehr lange dauern, dann wird auch dieser Ort dem Bau neuer Wohnanlagen weichen. In den nächsten Jahren sollen genau hier knapp 2.000 neue Wohnungen, außerdem Räume für Gewerbe- und Dienstleistungen, entstehen. Damit verliert Bernau sehr bald eine seiner schönsten Leinwände, und wahrscheinlich einige Besucher*innen.
Foto: Philip Chorzelewski