Verbotene Bücher und geheime Treffen: In Lolita lesen in Teheran erzählt der israelische Regisseur Eran Rikli die Geschichte der Professorin Azar Nafisi, die im Versuch, weibliche Selbstbestimmung zu wahren, im Iran der 1990er Jahre einen geheimen Lesekreis gründet.

Teheran im Jahr 1979. Die junge Literaturprofessorin Azar Nafisi (Golshifteh Farahani) kehrt nach ihrem Literaturstudium an der Universität Oklahoma und der Absetzung des Schahs durch die Islamische Revolution in den Iran zurück. Im Gepäck hat sie nicht nur große Hoffnung für die Zukunft ihres Heimatlandes, sondern auch eine breite Auswahl an Werken englischsprachiger Autoren. Neben Vladimir Nabokovs titelgebender Lolita sind unter anderem auch Henry James Daisy und Fitzgeralds The Great Gatsby dabei. Schon bei der Einreise sorgt das für den ersten Argwohn, und auch an der Universität stößt Nafisis Textauswahl in den folgenden Jahren immer wieder auf Ablehnung. Unmoralische Geschichten seien das, erklären ihr allen voran ihre männlichen Studenten. Bei großer Literatur gehe es doch gerade darum, unangenehme Gefühle hervorzurufen, argumentiert Nafisi.

Derweil spitzt sich die Lage auch außerhalb des Seminarraums weiter zu. Bei politischen Protesten vor der Universität werden einige von Nafisis Studentinnen festgenommen und nach einem Aufenthalt im berüchtigten Evin Gefängnis zum Teil sogar hingerichtet. Nafisi selbst erfährt davon nur aus den Medien, in welchen die jungen Frauen als Schuldige geframed werden. Später wird sie zum Dekan bestellt, weil sie sich weigert, das in öffentlichen Räumen inzwischen vorgeschriebene Kopftuch zu tragen. Es bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Lehrtätigkeit aufzugeben. Doch im Verborgenen widmet sie sich weiterhin der Wissensvermittlung. In einem in ihrer Wohnung veranstalteten Lesezirkel verteilt sie selbstgemachte Kopien der als unsittlich beanstandeten Romane an sechs der jungen Frauen aus ihren Kursen. Gemeinsam widmen sie sich nicht nur der Lektüre, sondern vor allem auch der Reflektion ihrer Lebensrealität. Und manch eine von ihnen zieht schließlich eine weitreichende Konsequenz.

In vier Kapiteln, die jeweils nach vier verschiedenen im Film verhandelten Werken benannt sind (The Great Gatsby, Lolita, Daisy, Pride and Prejudice), macht der Film des israelischen Regisseurs Eran Rikli spürbar, wie sich zunehmende Entrechtung anfühlen muss. So erzählt er anhand der Schicksale Nafisis und ihrer teilweise etwas farblos bleibenden Studentinnen nicht nur von Schikane, Vergewaltigung und Mord, sondern vor allem auch von der zunehmenden Perspektivlosigkeit, mit welcher die jungen Frauen in einem System zu kämpfen haben, das kaum noch einen Platz mehr für sie vorsieht. „Das Problem ist, dass sie nichts haben, an dass sie sich zurückerinnern können”, erzählt Nafisi einem Freund, während um sie herum kurz die Straßen aufleben, das Geschäft des Buchhändlers floriert und die Frauen in kurzen Kleidern gemeinsam eine Tasse Kaffee trinken gehen. Dann verschwindet das Bild wieder. Zurück bleiben der verbarrikadierte Buchladen und leere Straßen. Selbst darüber zu entscheiden, was man liest und was man trägt, das ist inzwischen nur noch in Tagträumen möglich.

Keine Frage, mit Bildern und Sätzen wie diesen will der Film berühren. Und tatsächlich gelingt das der getragenen, bis hin zu melancholisch anmutenden, Erzählung zumeist auch mühelos. Neben der überzeugenden Leistung der Hauptdarstellerin, dürfte dazu sicherlich auch das Wissen beitragen, dass Lolita lesen in Teheran auf einer wahren Geschichte beruht. Tatsächlich handelt es sich bei ihm um eine Adaption des gleichnamigen Roman, in welcher die real existente iranische Professorin Azar Nafisi ihre eigene Lebensgeschichte verarbeitete. Im Jahr 2003 veröffentlicht, entwickelte dieser sich umgehend zum weltweiten Bestseller und wurde auch von Kritiker*innen oft gelobt. Wenn man dem Film etwas vorwerfen möchte, dann vielleicht nur das, was Parucista Bahar schon im Jahr 2005 in der Süddeutschen Zeitung der literarischen Vorlage ankreidete, nämlich dass diese dazu verkommt, die westliche Welt implizit als utopisches Gegenmodell zu zeichnen. Trotzdem liefert der Film einen überaus wertvollen Einblick in das weibliche Leben im Iran der 1990er Jahre, sowie ein bedeutendes Plädoyer für die Macht der Literatur.

Lolita lesen in Teheran ist seit dem 20.11.2025 in deutschen Kinos zu sehen.


Foto: Weltkino Filmverleih