Die nächste Biographie über Kafka? Es gibt ja erst so um die Millionen. Am 23.10. startet Franz K. von Agnieszka Holland bundesweit in den deutschen Kinos. Ein Film, der funktioniert, weil er sich seiner Perversion bewusst ist.

Gemeinsam schauen wir einem jungen Mann zu, der an seinen Selbstzweifeln zugrunde geht. Der Film Franz K. von Agnieszka Holland ist ein weiteres Puzzlestück im Personenkult um den berühmten Autor Franz Kafka.

Holland erzählt uns das Leben Franz Kafkas. Tagsüber arbeitet er als Jurist in einer Versicherungsgesellschaft, wird von Liebschaften und seinem Vater geplagt, nachts schreibt er darüber. Wir sehen ein Leben, das wir schon so oft gesehen haben, dass es einen langweilen sollte. Aber das tut es hier nicht. Wieso?

Idan Weiss spielt einen überzeugenden Franz Kafka, einen seltsamen Zeitgenossen. Geräusche lenken ihn schnell ab, immer wieder lacht er unsicher und hetzt durch die Straßen Prags. Ständig fühlt er sich beobachtet. Zum Beispiel im Bordell. Gerade beginnt er, sich sinnlich zu amüsieren, als seine Augen Richtung Decke wandern: „Sie haben mir meine Stille genommen!“ Schnitt – Plötzlich sehen wir Museumsbesucher*innen, die von hohen  Rängen auf uns herab zeigen.

Am Badesee wirft sein Vater ihn als Kind ins Wasser. Bei seinem Auftauchen dürfen wir asiatische Tourist*innen dabei beobachten, wie sie Selfies auf dem berühmten Badehandtuch Franz Kafkas machen. Es ist geradezu pervers. Ein traumatisierter Mann geht seiner Verlobten fremd, indem er ihrer besten Freundin Liebesbriefe schreibt. Im Museum sagt ein Guide, die Menge der Briefe entspräche heute zwölf Tweets am Tag.

Und dann der Tod. Ein letzter Wunsch: Kafkas bester Freund Max Brod solle alle seine Werke verbrennen. Wir wissen heute, dass Brod dieser Bitte nie nachgekommen ist.

Franz Kafka trägt sein Erbe über den Tod hinaus. In seinen Zürauer Aphorismen steht: „Ein erstes Zeichen beginnender Erkenntnis ist der Wunsch zu sterben.“

Er aber muss bis in alle Ewigkeit in Museen archiviert weiterleben. Aus Guckvitrinen heraus bleibt er den erschlagenden Blicken von Museumsbesucher*innen ausgesetzt. Unternehmen drucken sein Gesicht auf T-Shirts und Tassen. Der tragische Fall eines depressiven Mannes wird zum Verkaufsschlager im 21. Jahrhundert.

Und das Publikum im Kino ist nicht besser. Das zeigt eine robotische Frauenstimme aus dem Off. „Franz“ solle man sagen, wenn man sich zu seinem Museumsticket noch ein persönliches Treffen mit dem Jahrhunderte Autor wünscht. Voller Selbstverachtung realisieren wir: Durch den Kinobesuch haben wir alle „Franz“ gesagt. Und haben wir es bereut?


Foto: Marlene Film Production, X Verleih AG