Wer hat eigentlich die Macht zu hassen? Und kann Hass auch Positives bewirken? Diesen und weiteren Fragen widmet sich die Autorin und Kulturjournalistin Şeyda Kurt in ihrem neuen Buch „Hass – Von der Macht eines widerständigen Gefühls”.
Das knallgrün-violette Cover des Buches „Hass” zieht die Blicke auf sich, und das ist wohl auch die Absicht von Şeyda Kurt – wenn auch weniger für sich selbst als vielmehr für das tabuisierte Gefühl des Hasses. Dieses will sie aus der Verbannung holen und zeigen, wie es gerade von Unterdrückten produktiv genutzt werden kann, um letztlich mehr Gerechtigkeit zu schaffen.
Ein Meer von politischen Gefühlen
Kurts 2021 erschienener Bestseller „Radikale Zärtlichkeit” fragte nach dem Verhältnis von Politik und Liebe. Nun folgt mit „Hass” ein weiteres Werk, das uns helfen soll, uns im Meer der Gefühle zurechtzufinden.
„Hass” ist in zwei Teile gegliedert: Im ersten werden die verschiedenen Ausprägungen des Gefühls definiert. Kurt verortet den Hass in der Geschichte, wobei sie sich auch auf die Werke anderer Philosoph*innen bezieht. Im zweiten Teil stehen die Geschichten von gesellschaftlich diskriminierten Personen wie jüdischen Widerstandskämpfer*innen und rassifizierten Menschen im Mittelpunkt. Immer wieder streut Kurt auch eigene Erfahrungen mit diesem Gefühl ein, was das sehr sachliche Buch greifbarer macht.
Kurt zeigt, dass Hass das Privileg derer ist, die nicht unter den Auswirkungen von Rassismus, Kapitalismus und Patriarchat leiden. Deshalb ermutigt sie die Unterdrückten, ihren Hass zu nutzen, um sich aufzulehnen. Dabei gleiten ihre Forderungen zuweilen ins Utopische ab, etwa wenn sie die Abschaffung der Polizei fordert.
Wenig Hass, einige Fragen
Die Lektüre von „Hass” lässt mich am Ende nicht hasserfüllt zurück, sondern eher fragend: Ist Hass wirklich ein wirksames Mittel zur Überwindung von Ungerechtigkeit? Kurt argumentiert, dass Hass von dauerhafter Natur sei, Wut hingegen nur kurzlebig. Hass könne auch aus der Ohnmacht befreien und Widerstand erzeugen. Unklar bleibt jedoch, ob Hass nicht auch in eine Ohnmacht führen kann, was letztlich den Widerstand schwächt.
Der Ideenreichtum der von Kurt geschilderten Geschichten hat mir eine kurzweilige Lektüre geboten. Und trotz einiger Holprigkeiten, die der bruchstückhaften Komposition des Werkes geschuldet sind, gelingt Şeyda Kurt eine tiefgründige Auseinandersetzung mit einem Tabu, das eigentlich keines sein sollte. Dabei gewährt sie Einblicke in das Leben jener, die sonst oft überhört werden.
Foto: Tansu Kayaalp und Ronak Juni