Dieser Text handelt von Wut. Der Wut, die mir und auch jeder anderen Frau, seitdem sie denken kann, stückchenweise mitgegeben wird. Sie kann jedoch nur mit der Sehnsucht verstanden werden, mehr sein zu wollen als das, was die in vielen Kreisen noch aufrechterhaltene Rolle der Frau bereitzuhalten scheint.
Als Kinder spielten wir häufig draußen, bauten Baumhäuser, fuhren mit unseren Fahrrädern durch matschige Wälder und imitierten mit unseren Plastik-Laserschwertern den Kampf zwischen Sith und Jedi. Die Mütter meiner Freunde, alle männlich, behaupteten daraufhin, ich sei ja eh ein „halber Junge“. Damals nahm ich das als Kompliment. Ich war also anders als andere Mädchen, dachte ich: stärker, aktiver, draufgängerischer, abenteuerlustiger. Mehr wie ein Junge eben. Heute frage ich mich, wieso ich anstatt eines halben Jungen nicht einfach ein ganzes Mädchen sein konnte. Warum konnte es nicht weiblich sein, alles, was möglich war, ausprobieren zu wollen? Warum musste mein Geschlecht, vielmehr das Bild meines Geschlechts an diesem Punkt enden?
Der einzige Grund, warum wir manchmal das Verlangen haben, anders als andere Frauen zu sein, ist der, dass das konventionelle Bild von Weiblichkeit nicht genug ist. Dass es nicht genug ist, um alle Seiten der menschlichen Existenz, des Möglichen, zu erkunden. Ich muss burschikos sein, um laut, vorlaut, lässig, ungehemmt, unverkrampft und locker zu sein.
Mit 16 postete eine Freundin ein Bild von sich, lachend mit Bikini im Pool. Ihr damaliger Freund fragte sie, warum sie das Bild gepostet habe. Seine Freunde würden jetzt denken, sie sei eine „Hoe“. Weiter führte er aus: „Also Lisa* ist eher eine selbstbewusste Hoe”, da sie schon häufiger etwas freizügigere Bilder gepostet hatte. „Und du bist jetzt bei den Jungs die ruhige Hoe.” So, als würde es sich hierbei um ein Naturgesetz handeln und völlig logisch sein. Wir lachten damals über diese Absurdität und kurze Zeit später trennte sie sich von ihm. Jedoch realisierte ich, dass uns als weibliche Personen von außen immer noch Grenzen gezogen wurden. Dass es, auch in dieser scheinbar gleichberechtigten Gesellschaft, noch soziale Strukturen gab, in denen uns gleichaltrige Jungs, überzeugt von ihren Ansichten, vorschrieben, was wir durften und was nicht. Wo der Handlungsraum für unser Geschlecht begann und wo er endete.
Wenn ein Mann romantisches oder sexuelles Interesse an einer Frau hat, ist es normal, dass er es offen kommuniziert. Nicht selten scheint das seine ‚steinzeitlichen Jagdinstinkte’ zu aktivieren und er bedrängt die weibliche Person so lange, bis sie ihm entweder zum tausendsten Mal klarmachen muss, dass ihrerseits kein Interesse besteht oder schlussendlich nachgibt. Umgekehrt ist offene Kommunikation eher ungern gesehen. Durch eine offene Kommunikation meines Interesses bin ich „leicht zu haben“, lächerlich und verzweifelt. Eine Frau darf in dieser Hinsicht nicht proaktiv sein, sondern muss warten, bis sie von einem Mann ausgesucht wird. Dann gilt es jedoch, nicht unfreundlich zu sein und mitzuspielen. Dabei sind wir geübt darin, unangenehme Kommentare zu überhören oder das Gespräch so zu lenken, dass es, überwiegend zu Gunsten des Mannes, nicht zu peinlichen Momenten kommt. Uns wird nicht vermittelt, dass es okay ist, nicht um jeden Preis freundlich sein zu müssen,selbst wenn wir sexuelle Belästigung erfahren. Uns wird beigebracht, zu lächeln und auszuhalten.
Jedoch entsteht mit den uns auferlegten Grenzen eine Wut, die uns nicht verstummen lässt, sondern uns dazu bringt, diese Grenzen immer wieder zu überschreiten. In der Hoffnung, sie irgendwann verschwinden zu lassen.
Illustration: Carlotta Vorderwülbecke