Es ist eine Mammutaufgabe, Max Frischs Stiller zu verfilmen. Das zeigt sich einmal mehr in Stefan Haupts neuestem Versuch, den Roman auf die große Leinwand zu bringen. Leider enttäuscht die Adaption mit ihren spießigen Befindlichkeiten und einer uninspirierten Aufmachung.
Lehrbuchhaft abgefrühstückt. Diese zwei Worte notierten wir uns direkt beim Verlassen des Kinos. Stefan Haupts Adaption wird dem Epoche machenden Roman des Schweizer Schriftstellers Max Frisch nur selten gerecht.
Ein amerikanischer Mann wird verhaftet und für den vermissten Schweizer Künstler Anatol Stiller gehalten. Paula Beer spielt die Frau dieses Stillers und hegt dabei noch alten Groll. Wie jetzt umgehen mit einer Frau, die man nicht kennt, einem Gerichtsprozess, von dem man nichts weiß und einer Affäre, die nicht die eigene ist? Der Roman bleibt in der Schwebe. Er belügt einen, erzählt einem damit die eigentliche Wahrheit und verschleiert, wer am Ende tatsächlich Anatol Stiller ist. Warum?
Max Frisch erzählt fast den gesamten Roman über aus der Perspektive des Häftlings und des vermeintlichen Anatol Stillers. Zeitweise vergessen die Leser*innen diese Erzählsituation und wiegen sich in Sicherheit. Dann reißen bissige und humoristische Monologe durch die brüchig errichtete Realität.
Warum der Film nicht funktioniert, zeigt allein der erste Satz des Romans: „Ich bin nicht Stiller“. Ein Satz, der nur im Schriftlichen funktioniert. Denn man stelle sich vor, man wird für jemand gehalten, der man nicht ist. Man würde vielleicht sagen: „Entschuldigen Sie, aber ich bin nicht dieser Anatol Stiller, oder wie der nochmal hieß“, oder: „Was wollen Sie von mir, wer ist dieser Stiller?“ Aber ein sachlicher, überlegter Satz wie: „Ich bin nicht Stiller.“? Der braucht Zeit. Den schreit man nicht aus dem Stegreif. Man formuliert ihn vielleicht nach reiflichem Nachdenken im Tagebuch im Gefängnis – so wie im Roman. Im Film sieht das ganze anders aus. Nach seiner Verhaftung schreit der für den vermissten Stiller gehaltene Häftling seinen Anwalt unkontrolliert an.
Das scheiternde Konzept der Mündlichkeit zieht sich durch den ganzen Film. Der Häftling gibt an, James White aus Amerika zu sein. Dementsprechend lässt er immer mal wieder einen englischen Satz in seinen Sprachgebrauch einfließen und gaukelt einen wirklich unrealistischen, schlechten Dialekt vor. Und das passt nun leider einfach hinten und vorne nicht. Denn warum soll ein Amerikaner ab und zu fließend Deutsch, dann aber wieder brüchig Englisch sprechen können? Auch Albrecht Schuch als James White kann leider nichts mehr retten.
Der Film ist zur gesamten Laufzeit herzzerreißend deutsch; stilistische Wagnisse bleiben komplett aus, man könnte ja die biederen Rentner in Reihe sechs überfordern! Aufgrund dessen mutiert Frisch‘s literarisch komplexes Werk über Themen wie Identitätsbewahrung, Selbstbild und Fremdbild zur seichten Sonntagnachmittagsunterhaltung à la Tatort. Ein Mysterium wird etabliert, es gibt Rückblenden in Schwarz-Weiß und am Ende wird alles aufgeklärt, yippie!
Für eine gute Verfilmung wäre eine mutigere, weniger auf Massentauglichkeit getrimmte Herangehensweise dringend nötig gewesen. Besonders frustriert, dass in einigen kurzen Sequenzen die Genialität des Ausgangsstoffs durchblickt, nur um wieder genauso schnell in der Versenkung zu verschwinden. Eine literarische Meisterleistung als Drehbuch zu nehmen führt bedauerlicherweise nicht automatisch zu einem ebenso bahnbrechenden Film. Daher bleibt diese Adaption ein großes „What If?“.
Zweifelsohne ist Stiller nicht unverfilmbar. Ein astronomisches Budget sollte auch nicht unbedingt von Nöten sein; so hätten ein paar experimentierfreudige Kameraperspektiven – wie zum Beispiel das Fischauge in Poor Things – Wunder für das surrealistisch anmutende Narrativ bewirken können. Nichtsdestotrotz schlägt Haupt an jeder Wegabzweigung den schnellsten, aber nicht unbedingt den interessantesten Weg ein. Nun ja, jetzt weiß ich zumindest welchen Film ich beim nächsten Kaffeekränzchen mit Oma und Opa anmachen kann.
Foto: Elite Film







