Wie kann ein gewaltfreies Zusammenleben über menschliche Grenzen hinweg aussehen? Welche Formen des Widerstands entstehen, wenn Frauen sich nicht nur untereinander, sondern auch mit der Natur solidarisieren? Mit diesen Fragen beschäftigte sich das Panel A Woman’s Nature?! beim Literaturfestival 2025 in Berlin.
Im Mittelpunkt der spanischsprachigen Veranstaltung standen die Schriftstellerinnen Eliana Hernández-Pachón, Luisa Reyes Retana und Gabriela Wiener. Drei Frauen aus Lateinamerika, die in ihren literarischen Werken nicht nur geografische und sprachliche Grenzen überschreiten, sondern auch die zwischen Mensch und Natur, Körper und Raum und Vergangenheit und Zukunft. An diesem Abend einte sie ein gemeinsames Anliegen: Erzählungen zu durchbrechen, die vom Patriarchat, Kolonialismus und Kapitalismus geschrieben wurden und jenen Gehör zu verschaffen, deren Stimmen allzu oft im Schatten bleiben – seien es Frauen, Migrant*innen oder Pflanzen.
Luisa Reyes Retana eröffnete den Abend mit einer Lesung aus ihrem neuen Roman Mal de Río, der im November erscheint. Die mexikanische Schriftstellerin, Juristin und Beraterin für Kulturschaffende lebt heute in Berlin und schöpft in ihren Werken sowohl aus ihrer kreativen Praxis als auch aus ihrem juristischen Fachwissen. Ihre Texte widmen sich dem Zusammenspiel von Mensch, Natur und anderen nicht-menschlichen Entitäten. In Mal de Río untersucht die Autorin, inwiefern die Wirkmacht dieser Beziehungen im mexikanischen Umweltrecht eine Rolle spielen kann. Reyes Retana spricht von Mutter Natur als „Schöpferin“, die nicht nur als Ursprung, sondern auch als Spiegel gesellschaftlicher Missstände verstanden werden kann: „So wie uns die Geschichte behandelt hat, behandeln wir die Natur“.
Gabriela Wiener, Autorin und Journalistin aus Peru, akzentuierte den Abend mit einer politisch aufgeladenen Lesung aus ihrem Roman Atusparia. Ihre Protagonistin landet aufgrund von politischer Verfolgung in einer Strafkolonie in Peru, eine Dystopie, die Wiener als „feuchten Traum von Trump“ beschreibt. Die Natur erscheint hier als einziger Ort der Freiheit, als Raum des Träumens jenseits des Gefängnisses. Wieners Schreiben kreist um Körper, die von Krisen, Macht und Widerstand gezeichnet sind. Sie legt ihr Augenmerk nicht nur auf einen Neuaufbau einer Zukunft, sondern auf das Erzählen von Geschichten der Frauen, die Gewalt erfahren.
Einen besonderen Blickwinkel bot die Lyrikerin Eliana Hernández-Pachón. Die gebürtige Kolumbianerin lebt in New York und macht sich in ihren Texten auf die Suche nach einer posthumanen Stimme für das lokale Ökosystem. In ihrer Lesung präsentierte Hernández-Pachón ein Gedicht aus einer unveröffentlichten Serie ihres Buches The Brush. Darin thematisiert die Autorin das Massaker von El Salado und wirft Fragen zur ökologischen Widerstandskraft und dem Weiterleben der Natur angesichts menschlicher Grausamkeit auf. „Ich möchte Geschichten von jenen erzählen, die keine Stimme im klassischen Sinn haben – Pflanzen, Flüsse, Wälder, Berge“, erklärte sie. „Denn Konflikte um Macht und Ressourcen in Kolumbien sind letztlich auch Konflikte um die Natur.“ Das vorgestellte Gedicht erzählt von einer Pflanze, die sich einer Blume vorstellt – eine poetische, zugleich politische Geste, die verdeutlichen soll, dass auch Pflanzen sich bewegen, denken und erinnern. Es ist ein Versuch, das Unsichtbare sichtbar zu machen und eine Sprache für das Nicht-Menschliche zu finden. „Wie klingt die Stimme einer Pflanze?“ – Diese Frage blieb als stilles Leitmotiv in der Luft hängen und hallte über die Lesung hinaus nach.
Die Migrationserfahrungen aller drei Autorinnen prägen sowohl ihre Literatur als auch ihr politisches Denken. Hernández-Pachón machte nach der Lesung auf eine „Kultur der Angst“ unter Migrant*innen in New York aufmerksam, die zunehmend mit Sorgen um ihren Status, ihre Arbeit und Sicherheit konfrontiert sind. „Gemeinsames Schreiben und das Zusammenkommen in Kollektiven oder Workshops ist eine wichtige Strategie im Umgang mit dieser Unsicherheit“, betont die Lyrikerin. Auch Wiener und Reyes Retana sehen im Schreiben eine Chance zum Perspektivwechsel. Wiener berichtete vom migrantischen Schreibkollektiv Sudakasa in Kastilien, das sie mitbegründet hat. Es versteht sich als ein Ort des Schutzes und der Selbstermächtigung, den die Migrantinnen selbst gestalten. „Als Migrantin bewegt man sich wie die Natur vor und betritt neue Gewässer“, fügte Reyes Retana hinzu. Für die Autorin ist Literatur ein Ort des Widerstands, in dem die Zukunft neu erfunden und Verbindungen erschaffen werden können – erzählt auf Augenhöhe statt in Hierarchien.
Bereits das Fragezeichen im Titel A Woman’s Nature?! verweist auf ein zentrales Anliegen der Veranstaltung: Die vermeintlich natürliche Verbindung zwischen Frau und Natur wird dekonstruiert und neu gedacht. Die vorgestellten Texte rücken Körper ins Zentrum, die unterdrückt und übersehen, aber auch widerständig sind – ob pflanzlich, menschlich, migrantisch oder weiblich gelesen. Die Beiträge lösten an diesem Abend spürbare Resonanz aus, nicht zuletzt weil sie persönliche wie kollektive Erfahrungen verbanden. Die drei Autorinnen agieren durch ihre literarische Arbeit, wie Wiener es formulierte, „wie wilde Detektivinnen“. Sie durchleuchten Machtverhältnisse und spüren marginalisierte Stimmen nach. Auf der Suche nach neuen Formen des Zusammenlebens über Arten- und Körpergrenzen hinweg, öffnet ihre Literatur Türen zu einer anderen, bereits geschriebenen Zukunft.
Foto: internationales literaturfestival berlin 2025, PWS e.V., Bernhard Ludewig