Wir alle kennen die Bilder von Aktivist*innen, die von der Polizei eingekesselt und weggetragen werden oder es mit Schlagstöcken zu tun bekommen. Mag es bei der Besetzung des Sozialwissenschaftlichen Instituts im vergangenen Jahr, beim Parteitag der AfD in Riesa oder zum Tag der Befreiung am 8. Mai in Demmin gewesen sein. Die 23-Jährige Martha vom Bündnis Widersetzen erzählt von ihrer Motivation, an Blockaden oder Demonstrationen teilzunehmen, und warum es gerade jetzt so nötig ist.  

Triggerwarnung / Content Note Polizeigewalt, Gewalt 

UnAuf: Wie kommt es, dass du bei Widersetzen und Studis gegen Rechts aktiv bist? 

Martha: Früher in der Schule war ich schon bei Fridays For Future, aber eben nur bei den Demos. Irgendwann habe ich durch Freund*innen erfahren, dass es viele aktive Bewegungen und Orgas in Berlin gibt. Dann bin ich mal zu den Plena mitgekommen und habe gemerkt, dass es richtig einfach ist, sich zu engagieren, auch ohne Verbindlichkeiten. Man kann sich reinsetzen und dann nach und nach immer mehr Aufgaben übernehmen.

UnAuf: Was hat dich motiviert, aktiv zu werden? 

Martha: Das war der Rechtsruck. Unsere Generation wird noch eine lange Zeit hier sein und es wäre einfach schön, wenn Deutschland nicht den Bach runtergeht. Man hat jetzt gerade die Möglichkeit, wirklich was zu machen und eigene Kapazitäten richtig zu nutzen.

UnAuf: Gab es denn einen Punkt, an dem du endgültig den Entschluss gefasst hast, aktiv zu werden? 

Martha: Ich glaube das war zum einen, als ich das erste Mal selbst Repressionen erlebt habe und auch etwas überrascht davon war, weil es in den Medien nicht thematisiert wird. Also wenn man zum Beispiel auf Palästina-Demos ist oder an zivilem Ungehorsam wie Blockaden dabei ist, greift die Polizei teilweise intensiver durch als es eigentlich nötig wäre. Zum anderen war es auch einschneidend, als die Brandmauer gefallen ist.  

UnAuf: Was macht ihr denn bei so einem Aktionstraining?

Martha: Wenn Menschen davor noch nie in Aktion waren, wird erklärt, worauf man sich einlässt. Es ist wichtig, dass man weiß, was bei einer Blockade passieren kann, was die Polizei machen kann. Blockaden sind auch immer unterschiedlich. Mal sind sie in größeren Städten, mal im ländlicheren Raum. Zum Beispiel wollten wir die Nazis in Demmin am Laufen hindern, damit sie ihren Kranz nicht am Fluss ablegen können. Der Kranz sollte dem Gedenken an den Massensuizid dienen, der im Mai 1945 über 400 Menschen auf Grund der drohenden Kriegsniederlage und der immer näher kommenden Sowjettruppen das Leben gekostet hat. Anstelle des Gedenkens zum Tag der Befreiung am 8. Mai.

UnAuf: Hast du Angst, wenn du dich inmitten einer Blockade befindest? 

Martha: Es kommt auf die Situation an. In Demmin war es zum Beispiel sehr entspannt. Es ist schon so, dass ich mich bei jeder Aktion auf einem leichten Dauerstresslevel befinde. Mir fällt es auch eher schwer, Smalltalk zu führen. Oft sitzt man da ja sehr lange und die Menschen spielen Karten. Das kann ich gar nicht, weil ich die ganze Zeit die Gegend abscanne und schaue, was passiert. Welcher Polizist sich jetzt einen Helm aufzieht und ob es eventuell sein könnte, dass sie jetzt anfangen wollen, uns zu räumen. Angst habe ich keine, aber ich bin oft gestresst. In diesem Moment ist auch gar nicht die Zeit für Angst. Du bist komplett auf Adrenalin und bemühst dich, deine Menschen im Auge zu behalten, aufzupassen, dass dir nichts passiert, und anderen zu helfen. 

UnAuf: Hältst du in dem Moment an dem großen Gedanken, sich gegen Rechts einzusetzen, fest? Oder reduziert es sich dann alles auf den Moment? 

Martha: Wenn es hart auf hart kommt, hält man sich schon vor Augen, dass wir hier richtig sind und das Richtige tun. Die Überzeugung spielt auf jeden Fall eine Rolle, ich mache das ja nicht aus Spaß . 

UnAuf: Wie fühlst du dich, wenn eine Blockade vorbei ist? 

Martha: Tatsächlich wird die Motivation immer größer. Wenn man mal ein Erfolgserlebnis hat, wie in Demmin oder in Riesa, sieht man direkt vor sich, dass sowas funktioniert und nicht sinnlos ist. Obwohl dieses Gefühl allgemein im Aktivismus ja nicht so schnell und so stark ist, hat man das in diesem Fall in einer kurzen Zeit. Direkt nach so einer Aktion ist man aber schon auch erstmal kaputt. Manche Leute sind noch super aufgedreht wegen des ganzen Adrenalins und manche Leute sind super ruhig und hören nur zu.

UnAuf: Spielt der Gemeinschaftsaspekt bei Demos oder Blockaden eine große Rolle?

Martha: Auf jeden Fall. Ich merke auch immer, dass ich nach Aktionen, insbesondere wenn man an dem Tag Repressionen erfahren hat, stark das Bedürfnis habe, mit den Menschen, die auch da waren, noch ein paar Stunden zu verbringen und das Erlebte zu verarbeiten. 

UnAuf: Gab es denn schon mal eine so eine brenzlige Situation, in der du dachtest: Das geht hier gar nicht gut aus? 

Martha: Bei der Nakba-Demo vor ein paar Tagen, die aber nicht von Widersetzen war, ist die Polizei so hart vorgegangen, dass ich um mich herum mehrere Menschen bewusstlos am Boden habe liegen sehen. So, dass die Sanitäter*innen nicht hinterhergekommen sind. Dann haben die Menschen, die auf der Demo eine Kufiya getragen haben, die Bewusstlosen mit ihren Tüchern abgeschirmt. Das ist schon hart, wenn man Menschen um sich herum sieht, die wirklich was abbekommen und man nicht weiß, ob das jetzt nur ein blauer Fleck ist oder ob die Person einen ernsthaften Schaden davon trägt. Einmal wurde ich mit der Menge von der Polizei auf eine Motorhaube gedrückt, sodass ich kurz davor war, mich zu übergeben, weil mir die Luft weggedrückt wurde. Die Wut und Fassungslosigkeit wird immer größer, wenn man diese Dinge sieht und erlebt, aber dann von der Gewalt fast gar nichts in der Berichterstattung mitbekommt.

UnAuf: Zum Abschluss: Was würdest du Menschen sagen, die der Meinung sind, dass die AfD eine demokratische Daseinsberechtigung hat, weil sie eben gewählt wurde (wenn auch gesichert rechtsextrem), und es problematisch sei, so dagegen vorzugehen, wie ihr es tut?

Martha: Es gibt immer und überall viele verschiedene Meinungen. Was aber für mich ein Thema ist, ist, dass die AfD gesichert rechtsextrem ist und Faschismus in Deutschland eine Sache ist, die ich persönlich mit meiner Vorstellung von diesem Land und der gesamten Welt nicht vereinbaren kann. Es ist gerechtfertigt, mit zivilem Ungehorsam und natürlich auch auf normaler Ebene in den Austausch zu gehen. Und je nachdem, welche Ebene in wessen Comfort-Zone liegt, man tut was man kann. Wenn sich alle denken „Die anderen machen das schon“, wird sich nichts verändern. 

Das Gespräch führte Hannah Isabella Schlünder (sie/ihr), 21, Bachelor Geschichte. 


Foto: Hannah Isabella Schlünder