Der Brüsseler Rapper Primero bringt seine Wortgewandtheit ein weiteres Mal in seiner aktuellen EP Plaine des Asphodèles (August 2024) zur Geltung. In seinen Texten lädt er dazu ein, über die Herausforderungen und die Schönheit des Lebens nachzudenken. Wenige Stunden vor seinem Konzert in der Maroquinerie in Paris am 17. April 2025 spricht er über den Mut, sich in der heutigen Musikindustrie verletzlich zu zeigen.
Kurz nach dem Soundcheck, nur wenige Stunden vor seinem Auftritt in Paris, nahm sich Primero Zeit, um mit der UnAuf über den Mut in der aktuellen Musikszene zu sprechen. In den fünf Tracks seiner EP Plaine des Asphodèles (2024) bewegt er sich zwischen direkter und zugleich poetischer Sprache und teilt seine Gedanken über die verschiedenen Facetten des Lebens. Als Mitbegründer und Mitglied der Gruppe L’Or du Commun, die 2012 ins Leben gerufen wurde, verleiht Primero seinem neuesten Projekt durch minimalistische Produktionen eine besondere Atmosphäre, bei der er sich vom rohen Rap der 90er bis hin zu modernen Einflüssen inspirieren lässt. Eine klangliche und textliche Entwicklung von seiner ersten Solo-EP Scénarios (2015), in der er sich stärker dem Erzählen von fiktiven Szenarios widmete. Mit der EP Serein (2020) und seinem ersten Soloalbum Fragments (2023) wendet er sich immer mehr introspektiven Erzählungen zu. Auf der Bühne bringt er seine Musik mit tiefgehender Offenheit zum Ausdruck, ein Schritt, der in der heutigen Musiklandschaft viel Mut erfordert.
UnAuf: Was bedeutet Mut für dich?
Primero: Für mich ist Mut damit verbunden, die Komfortzone zu verlassen. Es ist eine Reaktion auf etwas Schwieriges. Es ist hart, aber dahinter steckt immer ein Lernprozess. Bei allem, was ich im Leben ausprobiert habe, sei es als Hobby oder in der Musik, hat mich der musikalische Start mit meiner Gruppe geprägt, weil ich dadurch eine Verpflichtung gegenüber anderen gespürt habe. Wenn mich etwas ängstigte, half mir diese Verpflichtung, mein Wort zu halten. Es hat Mut gebraucht, dem loyal zu bleiben, was wir uns versprochen hatten.
UnAuf: Wie fühlt es sich an, heute Abend in Paris auf der Bühne zu stehen, und welche Rolle spielt dabei der Mut?
Primero: Es gibt immer eine gewisse Aufregung und diese ist fast notwendig. Es gab schon Konzerte, bei denen ich gar keine Nervosität empfand und dann auf der Bühne stand und kaum etwas fühlte. Wenn ich vor dem Auftritt Nervosität spüre, spiegelt sich das, was ich auf der Bühne gebe, oft in sehr intensiven Emotionen wider. Auf meinem künstlerischen Weg suche ich stark nach solchen Emotionen und dem Gefühl, künstlerisch etwas Schönes zu schaffen und das gemeinsam zu teilen. Deshalb lernt man, den Stress und die Angst als Teil dieses Berufs anzunehmen.
UnAuf: In deinem musikalischen Werdegang bist du von einem Schreibstil über ausgedachte Szenarien zu sehr persönlichen Texten übergegangen. Wie kam dieser musikalische Wandel zustande?
Primero: Am Anfang habe ich mich nicht getraut. Ich glaube, wir hatten in der Gruppe Schwierigkeiten, über uns selbst zu sprechen, da es sehr einschüchternd sein kann und Mut erfordert. Vor allem fragt man sich auch: Wird das die Leute interessieren? Dann habe ich die Rückmeldungen gehört und festgestellt, dass es die Menschen anspricht. Wir fassen als Künstler*innen Emotionen, die sie fühlen, aber teils nicht ausdrücken können, in Worte. Wir geben ihnen das Gefühl, verstanden zu werden und nicht allein zu sein.
UnAuf: In deinen früheren Projekten wie Fragments hast du viele Musikstile ausprobiert, während du auf Plaine des Asphodèles zu einem von den 90ern inspirierten Stil zurückkehrst. Woher kommt deine musikalische Vielfalt?
Primero: Ich bin teils unentschlossen, was die Form angeht, und da ich die Beats nicht selbst produziere, bin ich mir bei meinen Projekten erstmal nur bei dem sicher, was ich schreibe. Ich habe mit vielen verschiedenen Produzent*innen zusammengearbeitet und lasse daher gerne zu, dass zwischen dem, was ich schreibe und dem, was die Produzent*innen mir vorschlagen, verschiedene musikalische Stile für meine Songs entstehen. Ich glaube, daraus entsteht diese Vielfalt. Mein Songwriting ist dabei der rote Faden, der in meinen Songs wiederzufinden ist.
UnAuf: Wie hilft dir der Mut, deiner künstlerischen Vision treu zu bleiben und dich nicht von äußeren Erwartungen beeinflussen zu lassen?
Primero: Es ist sehr schwer, die Meinung anderer nicht zu sehr an sich heranzulassen. Ich glaube, Mut zeigt sich manchmal gerade in einem Raum voller Leute, wenn man gemeinsam an einem Projekt arbeitet. Wenn einem wirklich etwas am Herzen liegt, braucht es Mut, dafür zu kämpfen. Es ist wichtig, das zu tun, was einem entspricht, natürlich auch neue Dinge auszuprobieren, aber immer auch zu erkennen, wann etwas nicht zu einem passt.
UnAuf: In deinem Song Kappa teilst du deine Gedanken zu den „dunklen Zeiten der Menschheit“. Ich habe das Gefühl, dass dir das Thema der Ungerechtigkeiten in deiner Musik sehr wichtig ist. Ist das für dich auch ein Weg, dich zu engagieren und das Geschehen zu verarbeiten?
Primero: Manchmal bin ich etwas unsicher, wie ich mich engagieren oder positionieren soll. Ich denke, es ist sehr wichtig, seine Meinung zu sagen und nicht passiv zu bleiben. Das ist etwas, woran ich bei mir arbeite. Plaine des Asphodèles steht genau dafür. Es soll einen mythologischen Ort darstellen. Die Idee ist, dass es weder die Hölle noch das Paradies ist. Nicht die Menschen, die Gutes getan oder Schlechtes verursacht haben, sind entscheidend, sondern diejenigen, die einfach nichts getan, nichts gesagt und nichts an ihrer Lage verändert haben. Das Projekt war für mich eine Art, mir selbst zu sagen: „Da willst du nicht hin!“. Es ist wichtig, seine Meinung zu sagen, sich selbst zu konfrontieren und Mut zu zeigen.
UnAuf: Glaubst du, dass das Ansprechen dieser Themen in deiner Musik dazu beitragen kann, das Bewusstsein anderer zu wecken?
Primero: Als Künstler habe ich eine Plattform und kann meine Meinungen zu Aspekten ausdrücken, ohne in jedem Song ein „ultra engagierter“ Künstler sein zu müssen. Wenn ich hier und da meine Meinung zu Dingen einbringe, kann das vielleicht eine gewisse Resonanz erzeugen und andere ermutigen, dasselbe zu tun.
Ich denke, Künstler*innen haben schon immer die Rolle gehabt, in Krisenzeiten die „echte“ Stimme der Gesellschaft zu sein und die Gefühle der Menschen in Worte zu fassen, die vielleicht nicht die Möglichkeiten haben, sich auszudrücken oder zu verarbeiten, was sie gerade fühlen. Daher möchte ich ein bewusster Beobachter sein, der von sich, aber auch vom Leben anderer Menschen erzählt.
UnAuf: Wenn du in die Zukunft blickst, in welchem künstlerischen Bereich möchtest du dich weiterentwickeln, und wie kann dir dein Mut dabei helfen?
Primero: Ich möchte kreativ bleiben und ich merke, dass ich mich durch das Schreiben am besten ausdrücken kann. Ich mag auch die Zusammenarbeit im Team. Momentan mache ich zwar Musik für meine Solo-Karriere, aber mein Team ist immer dabei, was mir sehr gefällt. Letztlich kann man immer wieder positive Überraschungen erleben, wenn man sich traut, Risiken eingeht, Ängste überwindet und Mut zeigt. Vor allem muss man immer dem folgen, was einen im Leben wirklich antreibt!
Foto: Sara Walker