Der Rapper Apsilon ist mutig. Während er in seinen Texten gegen das Establishment schießt, revolutioniert er zeitgleich das eigene Genre. Und das alles zwischen Männlichkeits- und Selbstwertkomplexen, einem Gefühl von Fremdheit und sozialer Ungerechtigkeit, auf seinem Debütalbum „Haut wie Pelz“.

Seine Großeltern kommen als Gastarbeiter*innen aus der Türkei, die Eltern hinterher, Leben in Ghettos, Arbeit in der Fabrik mit dem Traum eines Mercedes Benz. Sein Großonkel verfolgt denselben Traum als Taxifahrer. 1998 ermordet ihn ein Kunde mit rassistischen Motiven. Zu diesem Zeitpunkt ist der Rapper Apsilon, mit bürgerlichem Namen Arda Yolci, ein Jahr alt. 

Aufwachsen in Moabit

1997 wird Apsilon geboren und wächst in Berlin-Moabit auf. Auf seiner Website steht heute „from Moabit with love“. Ein Spruch, der in seiner Musik Programm ist. 

Wenn ich mit den Jungs bin, Bro, was juckt uns dann dein Brustumfang?

Turmstraße, mein Habibi zündet sich ’ne Lunte an

Auf „Brustumfang“ skizziert Apsilon die Turmstraße, den sozialen Brennpunkt des Stadtteils. Wer hier aufwächst, leidet unter Wohnungsmangel, Diskriminerung und Kriminalität.

In der Turmstraße entsteht also der Kapitalismusfrust in Apsilons Texten. 

Du machst jetzt Flous [Geld], weil dein Vater macht Flous

Ihr klärt euch Teenies mit Flaschen im Club

Ich bin nicht schlecht gelaunt

Ich glaub nur, Köpeks [Hunde] wie dich anlächeln, das kann ich nicht gut

Hier wächst Apsilon also auf. Er spielt Basketball mit seinem kleinen Bruder Arman, hört Berliner Straßenrap und fängt früh an, seine eigenen Texte zu schreiben. Obwohl Apsilon seine Kindheit als schön beschreibt, fällt ihm schnell auf, dass Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland anders behandelt werden. Der Mord seines Großonkels, Racial Profiling durch die deutsche Polizei oder einfach, wenn Tourist*innen aus Angst vor dem „kriminellen Ausländer“ ihre Taschen bei Begegnungen fester halten. All das findet sich heute in seinen Texten wieder.

Durchbruch

2020 bringt ein rechtsradikaler Terrorist neun Menschen in Hanau um. „Köfte“ lautet die Antwort von Apsilon. Hier deutet er seine Familiengeschichte an und beendet den Song mit deutlichen Worten.

Man kann doch ein braver Deutscher sein, wenn man nur möchte

Doch ich möchte nicht, nein, danke, trinke Çay und esse Köfte

Zeiten ändern sich und Kultur auch. Genau wie Feierabendbier und Schrippen gehören nun auch Çay und Köfte zur deutschen Kultur. Ein braver Deutscher, an die traditionelle Kultur angepasst, will Apsilon nicht sein. Apsilon ist ein moderner Deutscher, der sich nicht einschüchtern lässt. Auch nicht von Terroranschlägen. Und so bringt ihn seine erste EP „Gast“ 2022 in das Scheinwerferlicht von Rap-Fans. Apsilon geht auf Tour, veröffentlicht eine zweite EP und bleibt seiner Linie treu. Gegen das Establishment und für sein Viertel. Auch auf „Haut wie Pelz“ ändert sich an seiner Grundhaltung nichts. Doch ein Song sticht hervor. Mit „Baba“ geht Apsilon viral. Auf seinem YouTube-Kanal ist das Musikvideo heute noch das mit den meisten Aufrufen. Um die Dimensionen von einem Song wie „Baba“ im Rap zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Anfänge des Hip-Hops.

 Ein Crash-Kurs: Das mit den bösen Männern vor dicken Autos

Anfang der 70er Jahre ist New York hoch verschuldet, die weiße Mittelschicht wandert in die Vororte, was zu einem Einbruch der lokalen Wirtschaft führt. Kriminalität steigt, Lebensqualität sinkt. Die Schwarze Unterschicht, die bleibt, sucht sich einen Weg, ihr Lebensgefühl auszudrücken. Dabei entstehen die vier Kategorien des Hip Hops: Djing, Graffiti, Breakdance und Rap. In den Texten des neuen Genres Rap geht es um Geschichten von der Straße, Überfälle und Drogen – die harte Realität in der Bronx. Der Aufstand gegen die Obrigkeit wird dabei zu einem Gattungsmerkmal des Raps. Ein weiteres ungewöhnliches Gattungsmerkmal ist das Geschlecht. Anfangs muss man regelrecht mit der Lupe nach Frauen suchen, die im Rap Anerkennung bekommen. Der Rapper 2Pac bezieht dazu in einem seiner ersten Songs „Young Black Male“ (1991) Stellung. Hier erzählt er von Racial Profiling besonders bei jungen Schwarzen Männern. Dazu kommt natürlich auch, dass sich eine Bewegung gegen das Establishment von traditionell männlichen Werten nährt. So zählen physische Stärke, tiefe Stimmen und aggressives Verhalten zu Eigenschaften, mit denen man sich im Rap durchsetzen kann, solange man eben ein Mann ist. Um weiterhin provokant den mit dem Zeigefinger wedelnden Feuilletonjournalist*innen im Anzug zu missfallen, entsteht mit der Zeit aus politischer Sicht ein moralisch fragwürdiger Jargon. Wenn man weiß, woher Rap kommt, fällt eine künstlerische Bewertung allerdings schon schwerer. Der deutsche Rapper Haftbefehl trifft es mit folgenden Worten auf den Punkt: „Fick deine Mutter Mucke, das ist die Message.“ Wörter wie „Hoe“ und „Bitch“ werden im Rap so zunehmend alltagstauglich. Von Einzelfällen abgesehen, geht es dabei nicht nur um die Provokation der Frau, sondern die Provokation der meist männlichen Anzugträger mit Moralzertifikat. 

Die bösen Männer mit Aggressionsproblem und Depressionen

Doch das ändert nichts daran, dass ein patriarchales Rollenbild mit den einhergehenden „männlichen“ Idealen Frauen schadet. So postet der Rapper Bonez MC auf Instagram 2020 Storys, in denen er Frauen Tipps gibt, um „sexy“ zu werden. „Heutzutage können Frauen nix, außer wie ein Opfer mit Shisha Schlauch und Filter in der Fresse Selfie Videos machen“. Wenn ein Bonez MC nun ein Wort wie „Bitch“ in seinen Texten nutzt, klingt das eher nach (re)produzierter Frauenfeindlichkeit als nach Hip-Hop kultureller Provokation. 

Und auch Männern schadet das Denken in traditionellen Rollen. Wenn ständig davon die Rede ist, wie stark Männer sein müssen, kann man sich schon mal ziemlich schwach fühlen. Und über Gefühle zu reden zählt auch nicht gerade zu den traditionell männlichsten Eigenschaften. So tendieren Männer laut statistischem Bundesamt schneller dazu, Selbstmord zu begehen, bevor sie sich bei einer Therapie zum Beispiel Depressionen diagnostizieren lassen. 

Und hier kommt Apsilon mit „Baba“ ins Spiel. Auf knapp zweieinhalb Minuten singt der Rapper über seinen Vater.

Mein Baba hat ein‘ starken Rücken

Guck, wie viel Druck auf meine Schultern passt

Ich wünscht, ich wär ein bisschen schwächer

Dann hätt’s mich nicht kaputtgemacht

Er offenbart Unsicherheit, den Wunsch nach Schwäche und den Zusammenhang mit seiner „männlichen“ Erziehung, die offenbar Wunden hinterlassen hat. Denn ein starker Rücken mag dabei helfen, ein Haus zu bauen. Um darin leben zu können, braucht man aber Gefühle. Im besten Fall kann man mit diesen dann auch noch umgehen. Als traditionell sozialisierter Mann fällt das schwer. 

Krise in der Heimat, in Memleket 

Such‘ Frieden, krieg‘ kein Auge zu, wer will Stress?

Auf „Friedensnobelpreis“ wird ein Gedanke an die Heimat so schnell zu einem Wutausbruch. Welche Emotion soll man als männlicher Rapper auch sonst spüren?

Gegen die Obrigkeit zu schießen benötigt als Rapper*in von unten sowieso schon Mut. Doch sich als Mann in einem von traditionell männlichen Werten geprägten Genre den Wunsch nach Schwäche einzugestehen, Unsicherheit zu thematisieren und im Deutschrap damit unter Männern alleine zu sein, benötigt ein Mal mehr Mut. Und den hat Apsilon.

 


Illustration: Lucia Maluga