Die UnAuf ist zu Gast in Kiew.  Vor vier Jahren starben junge Ukrainer*innen auf dem Maidan im Kampf gegen die Korruption und für die Freiheit. Davon ist heute in Kiew fast nichts mehr zu sehen. Nur die vielen Soldaten im Stadtbild erinnern daran, dass im Osten  immer noch Krieg herrscht. Doch hinter den Kulissen arbeiten unzählige junge Aktivist*innen daran, die Revolution in den Köpfen weiterzutreiben. Fünf UnAuf-Redakteure begeben sich fünf Tage lang auf Spurensuche

Tag 5

Es ist 2 Uhr nachts, technisch gesehen also schon Sonntag. Der letzte Tag, vielmehr die letzten Stunden in Kiew beginnen. Jan und ich sitzen im Uber. Bis gerade eben haben wir die Zeit in Bars totgeschlagen, bis wir endlich zur wohl besten Party der Stadt, nein der gesamten Ukraine fahren können: Dem ersten Boiler Room in Kiew -veranstaltet mit Cxema, dem Kiewer Techno-Kollektiv. So haben uns das zumindest fast alle Studenten erzählt, mit denen wir im Verlauf der Woche geredet haben, und die sich nicht entscheiden konnten, ob es eventuell die beste Party des Jahres oder nur der letzten Monate sein würde.

Auch Roman, der russische Hochzeitsmoderator, den wir am Abend zu vor getroffen haben, hat angekündigt hier zu sein. Genauso wie das Mädchen aus Donezk aus der Bar gestern. Und wir werden noch andere Menschen treffen,  aus Odessa, aus Lviv. Sie sind extra für diese Nacht angereist, aus dem ganzen Land.

Der Bass ist so massiv, dass man ihn im Uber schon einige hundert Meter vorher hört. Genauso massiv sind die riesige Fabrikhalle und die Schlange beim Einlass. Ein erhabenes Gefühl auf der Gästeliste zu stehen. Presseausweis, Bändchen, Stempel, und rein. Wir versuchen Darko, der für das Party-Kollektiv Cxema die Communication macht, ein paar Antworten auf unsere motivierten Fragen aus der Nase zu ziehen. Mit den Gedanken ist er aber ganz woanders und verspricht uns anzurufen, wenn wir mit den DJs reden können. Darko wird sich nicht mehr melden.

Wir haben eine Mission. Das hier ist Arbeit und es fühlt sich gut an, Beobachter zu sein. Fotos machen, O-Töne sammeln. Ein bisschen kommen wir uns vor wie Vice-Praktikanten. Die Leute sind offen, posen bereitwillig vor der Kamera, erzählen auf welcher Droge sie sind. Äußerlich alles wie in Berlin, aber in den Gesprächen verstehen wir, dass das nicht die ganze Wahrheit ist. Wir fragen nach ihren Namen, was sie so machen, warum sie hier sind. Und ganz ohne nachzuhaken, erzählen uns viele, dass der Techno hier politische Dimensionen hat. Dass das Raven überhaupt erst mit der Revolution möglich geworden ist. Flucht aus der finanziellen Krise, weg vom Krieg im Osten. Safe Space, das Wort fällt oft. Das Kiewer Straßenbild ist homogen, aber hier ist das anders. Gay friendly, of course, das ist der Tenor.

Hoffnungslos und enttäuscht mit der Lage ihres Landes sind die meisten. Wasted Youth steht auf dem Pullover eines Typs. Ich denke, das passt.

Mit der Zeit werden die Pupillen größer und die Antworten schwammiger. Zeit zu gehen. Jan meint, hier sehen alle aus wie Yung Hurn, Mittelscheitel. Gel, Trainingsjacke, Kettchen, manchmal mit Mercedes-Stern dran. Aber nicht sie haben unseren Style kopiert, sondern wir ihren.

Es ist es sechs Uhr, als Jan und ich im Aroma Kava sitzen, das 24/7 geöffnet ist. Kurz noch frühstücken. Afterparty im ukrainischen Starbucks, wenn man so will.

Ich bestelle einen Kakao, obwohl ich eigentlich lieber Ingwertee will, aber mit „Ginger tea“, „Ginger chai“, oder „Yellow tea“ kann die Mitarbeiterin nichts anfangen. In drei Stunden müssen wir eigentlich auch schon wieder aufstehen. Unsere Carry-Ons packen, dann zum Flughafen. Mir graut jetzt schon davor.