Die UnAuf ist zu Gast in Kiew.  Vor vier Jahren starben junge Ukrainer*innen auf dem Maidan im Kampf gegen die Korruption und für die Freiheit. Davon ist heute in Kiew fast nichts mehr zu sehen. Nur die vielen Soldaten im Stadtbild erinnern daran, dass im Osten  immer noch Krieg herrscht. Doch hinter den Kulissen arbeiten unzählige junge Aktivist*innen daran, die Revolution in den Köpfen weiterzutreiben. Fünf UnAuf-Redakteure begeben sich fünf Tage lang auf Spurensuche

Tag 4

Wir verlassen heute zum ersten Mal die Stadt. Unser Ziel: Die Residenz des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Janukowitsch. Wir möchten mit eigenen Augen sehen, wofür die Ukraine berüchtigt ist: Die hemmungslose Bereicherung korrupter Oligarchen.

Nach dem Euro-Maidan floh Janukowitsch nach Russland und ließ sein Anwesen am nördlichen Stadtrand von Kiew zurück. Heute ist es für die Öffentlichkeit zugänglich. Als wir uns dem Arsenal nähern, wundern wir uns, wie voll es ist. Auf der Einfahrt drängeln die Autos und Busse, die Schlange zum Ticketschalter ist lang. 120 UAH, umgerechnet vier Euro zahlen wir, um uns oligarchischen Protz anzuschauen. Wohin das Geld fließt und warum Soldaten unsere Tickets abreißen, bleibt erstmal ungeklärt.

Für kritische Nachfragen ist dann auch erstmal kein Platz. Wir stauen über ukrainische Hochzeitspaare, die die Behausung ihres verjagten Präsidenten als Fotokulisse nutzen. Dann geht alles ziemlich schnell: Plötzlich sitzen wir in einem Golfcart und fahren wie im Disneyland über ein hügeliges Gelände. Unser Fahrer Igor erklärt mir auf Russisch die wichtigsten Orte. „Links seht ihr den Golfplatz, Janukowitsch liebte diesen Sport. Gleich nebenan steht seine Garage, er besaß viieeeele Autos. Hier seht ihr das Gästehaus für wichtige Besucher. Putin, Gaddafi, alle waren sie schon hier. Dort seht ihr das Boot, dass Janukowitsch seiner Geliebten geschenkt hat – das hat mehrere Millionen gekostet. Ach und überhaupt, seine Geliebte!“ Igor zeichnet mit ausladenden Bewegungen die Rundungen einer Frau nach und lacht. Wir lachen mit. Verstörende Details, wie die Anzahl an Scharfschützen, Wachhunden und Bodyguards klingen aus Igors Mund irgendwie lustig. Überhaupt genießen wir die Rundfahrt, spazieren Seite an Seite mit ukrainischen Familien und Pärchen durch die Anlage und sind ernsthaft enttäuscht, dass Janukowitschs Hauptresidenz –  eine überdimensionale Holzhütte mit goldener Toilette – heute für Besucher gesperrt ist.

Am Nachmittag treffe ich mich mit unserer Führerin Helen und schäme mich ein bisschen. Sie selbst würde niemals zu Janukowitschs ehemaliger Residenz fahren. “Warum muss ich mir angucken, was dieser schlimme Verbrecher alles mit dem geklauten Geld gekauft und gebaut hat?” Wir spazieren in ihrem Bezirk umher. Helen lebt auf der rechten Dnepr-Seite, in der Nähe der Poznyaky-Station. Wir sind in der sogenannten „Schlafseite” von Kiew. Hier reihen sich Hochhäuser an Hochhäusern, hier wohnen die Leute, die auf der anderen Dnepr-Seite arbeiten. Der optische Kontrast zum Vormittagsprogramm könnte nicht größer sein. Zwischen den Betonbauten ist dafür viel Platz für Parks, kleine Kaffee-Läden, Babuschkas, die ihr Obst verkaufen und Spielplätze. In dieser Plattenbausiedlung leben die ganz normalen Ukrainer. Das Viertel lebt von diesen Leuten, wie die ganze Stadt von ihnen lebt.