Gleich an unserem ersten Abend in Belgrad rennen fünf Personen unserer Gruppe vor einem Mann weg, der uns zuerst hinterher schreit und im Anschluss mehrere Minuten lang verfolgt. Irgendwann gibt er auf, da er uns nicht mehr einholen kann. Verwirrt und weniger verängstigt als wir es tatsächlich sein sollten, überlegen wir, was der Mann wohl von uns wollte. Wie ernst und gefährlich die Situation wirklich war, realisieren wir erst mehrere Tage später. 

Im Pionirski Park in Belgrad, gleich neben dem Gebäude der Nationalversammlung, haben im März 2025 vermeintliche Student*innen ihre Zelte errichtet. Sie sind aber kein Teil der Bewegung gegen die Regierung Vučićs, ganz im Gegenteil. Diese „Student*innen“ sind gegen die Proteste und wünschen sich einen normalen Unibetrieb zurück. „Schüler zurück in die Schule!“ lautet der Slogan. Mit diesem Slogan hängt auch der Name zusammen, mit dem die Camper mittlerweile allgemein bezeichnet werden. Statt dem serbischen Wort für Schüler (Daci) schrieb ein*e Teilnehmer*in das Wort Ćaci, das keine eigene Bedeutung hat. So wurden die Camper zu Ćacis und das Camp zu Ćaciland.

Die Student*innen, die gegen Vučić protestieren, reden uns gegenüber abfällig von den Ćacis und machen sich über den Schreibfehler lustig. Es fällt uns schwer, es ihnen zu verübeln. Denn in Serbien ist es allgemein bekannt, dass die „Student*innen“ im Pionirski Park keine echten Student*innen seien, sondern von der Regierung bezahlt werden. Bei vielen von ihnen handele es sich sogar um verurteilte Kriminelle, die eigens zu Vučićs Propaganda-Zwecken in das Camp geschickt wurden. So ironisch der kleine Schreibfehler vor diesem Hintergrund auch sein mag: Vučić weiß genau, wie er das Ćaciland zu seinen Zwecken nutzen kann. So benutzt er das Wort selbst, um gegen die echten Student*innen zu hetzen: „Besser Ćaci als Nazi“, so Vučić.

Wie kann es sein, dass alle von der Korruption, die hier passiert, zu wissen scheinen, es aber keine handfesten Beweise gibt? Die Journalistin Nina Čolić vom Zentrum für investigative Recherchen Serbien (CINS) sagt dazu: „Wir recherchieren zu dem Thema, aber es ist nicht einfach. Wir sehen, dass Geld fließt, können das Camp aber nicht in direkte Verbindung dazu setzen.“ Die Journalistin erzählt uns außerdem, dass die Ćacis schon häufiger Leute angegriffen haben. Laut der NGO CRTA, die sich für Demokratie in Serbien einsetzt, sehe die Gesellschaft einfach, dass dort Korruption stattfindet. Erst als wir selbst das Camp besuchen, wird uns klar, was sie meinen. Der Pionirski Park ist umgeben von einer Absperrung, dahinter befindet sich ein Dorf aus identischen Zelten. Die Leute, die wir im Camp sehen, sind alle im mittleren Alter.

Um herauszufinden, welche Informationen die Polizei uns zu dem Camp geben kann, fragen wir nach, aus welchem Grund das Gelände hier umzäunt und abgesperrt sei. Der Polizist teilt uns daraufhin locker mit, dass die Menschen in dem Park „dumm wie Schweine“ seien und von Politiker*innen bezahlt werden. Wenn schon die serbische Polizei die Korruption durchschaut und ein paar neugierigen Touristinnen so offen davon erzählt, hat Vučić bei seiner Propaganda wirklich keinen besonders guten Job gemacht. Der Mann, der uns an unserem ersten Abend in Belgrad verfolgt hat, war also ein Ćaci, wir waren uns nur nicht darüber bewusst, dass wir gerade am Camp vorbei laufen. Sicher kann man uns jetzt uninformiert und naiv nennen, aber wer rechnet auch damit, von ein paar Campern mit Rechtschreibschwäche angegriffen zu werden?


Bild: Anne Marie Patzke