Kurz vor ihrem Plenum zu den Protesten treffen wir uns mit Isadora und Sonja aus der Bauingenieurwesen-Fakultät in der Universität. Während sich zukünftige Student*innen in einer Etage des Gebäudes einreihen, um sich für ihren gewünschten Studiengang einzuschreiben, erklären Sonja und Isadora uns, warum sie gerade keinen Kopf dafür haben, zu studieren.

UnAuf: Wie kam es dazu, dass ihr euch in Plena organisiert habt?

Sonja: Nachdem es bei den 15 Minuten des Schweigens an der Fakultät der Dramatischen Künste zu Attacken von Passant*innen kam und sich die Student*innen der Fakultät dazu entschlossen hatten, eine Blockade des Universitätsgebäudes zu starten. Außerdem organisierten sie ein Plenum, bei dem nur Student*innen der Dramatischen Künste erlaubt waren. Student*innen anderer Fakultäten schlossen sich der Fakultät an, um Solidarität zu zeigen. So wie unsere Fakultät, die unser Universitätsgebäude ebenfalls besetzte und anfing, Plena zu halten. Schließlich waren alle Fakultäten in Belgrad und anderen Städten besetzt. Es löste eine Kettenreaktion in ganz Serbien aus. So fingen wir an, uns zu organisieren.

UnAuf: Wie wurde die Besetzung zu so einer langfristigen Sache?

Isadora: Zuerst gingen wir nicht davon aus, dass es sich zu einer langfristigen Besetzung entwickeln würde, aber jetzt  sind wir immer noch hier und es hat sich immer noch nichts verändert. Es hört uns in Serbien niemand zu. Wir werden weitermachen, bis sich etwas verändert. 

Sonja: Als wir anfingen, dachte ich, es würde sich um höchstens zwei Wochen handeln. Es entpuppte sich alles als eine viel größere Sache und ein viel größeres Problem.

UnAuf: Weil es sich um so eine lang andauernde Zeit der Organisation handelt, muss es ja eine gewisse Struktur geben, in der Art und Weise, wie ihr Dinge angeht.   

Isadora: Jede Fakultät hat ihre eigenen Plena. Manche jeden Tag, manche alle paar Tage und manche nur einmal in der Woche. Das heißt aber nicht, dass die Student*innen nicht trotzdem hier sind, auch wenn kein Plenum ist. Aber wir als Bauingenieurwesen-Fakultät haben dreimal in der Woche Plenum. Nach den Plena hat jede Fakultät meistens ein paar neue Ideen und es finden durchmischte Gruppentreffen dreimal in der Woche in der gesamten Universität statt, um diese zu diskutieren. Danach stimmt jede Fakultät darüber ab. Jede Woche haben wir andere Delegierte an einer Fakultät, die die Stimmen auszählen. Das ist direkte Demokratie. Jede Person hat eine Stimme und es gibt keine Fakultät oder Person, die mehr Macht hat als die anderen. Da gibt es natürlich viele unterschiedliche Meinungen, aber wenn zum Beispiel für eine bestimmte Protestaktion gestimmt wird, die wir persönlich nicht gut finden, gehen wir trotzdem. Weil es die kollektive Entscheidung der Student*innen ist. 

UnAuf: Was für Menschen gehen zu den Protesten?

Isadora: An den Plena nehmen nur die Student*innen der jeweiligen Fakultät teil, aber bei den Protesten sind alle zu finden. Egal ob Student*innen, Eltern oder Großeltern. Jeder ist willkommen, die Meinung zu äußern. Nachdem unsere Arbeitsgruppen den Plan für eine Demonstration ausgearbeitet haben, werden Delegierte bestimmt, die jede*n dazu aufrufen, zu kommen. Aber jeder dieser Delegierten ist auch eben gewählt und kann nicht einfach sagen: „Ich führe den Protest an.“ 

Sonja: Jeder kann sich vor die Gruppe stellen und sich als nächsten Delegierten auf Zeit vorschlagen und dann gegebenenfalls gewählt werden. Wir sind gerade zum Beispiel dazu ausgewählt worden, mit dir zu reden. Als Pressesprecherinnen sozusagen. Damit es nicht zu einer oder mehreren Personen kommt, die eine Art Anführerrolle einnehmen, wird alles ständig durchgewechselt. 

UnAuf: Was für Arbeitsgruppen gibt es?  

Isadora: Es gibt die Strategie-Gruppe, die Sicherheitsgruppe, die Medien-Gruppe, die Spenden-Gruppe und die Regel-Gruppe. Jeder kann sich seine Arbeitsgruppe aussuchen und auch immer wieder gehen. Aber bei den meisten ist es so, dass sie eine Gruppe oder mehrere wählen und dann auch in ihr bleiben. So kommt eine gewisse Routine in die Abläufe.

Sonja: Ich bin in der Medien-Gruppe und vor ein paar Monaten wusste ich nicht mal, wie man eine Kollaboration macht. Jetzt nach acht Monaten weiß ich genau, wie alles funktioniert. 

UnAuf: Hat sich die Dynamik und die Stimmung in der Organisation während der vergangenen acht Monate verändert? 

Sonja: Gerade sind einige Leute etwas demoralisiert, weil es Sommer ist, viele Menschen nicht in der Stadt sind und auch die Fakultät aber wieder teilweise arbeitet. Aber die Proteste nehmen kein Ende. Wir haben unsere Hoffnung nicht verloren. Wir haben viele neue Ideen und arbeiten an ihnen. Es arbeiten konstant Leute an neuen Konzepten. Auch wenn das gerade nicht an den Fakultäten passiert und es im Moment so aussieht, als würde nichts passieren. Es passiert immer was, man kann es zurzeit nur nicht sehen. Es ist nicht sichtbar für die Öffentlichkeit, aber es findet statt. Viele Student*innen kommen auch nicht aus Belgrad und sind in ihre Heimatorte gefahren. 

UnAuf: Glaubt ihr wirklich, dass die Proteste und die Besetzungen nachhaltig etwas verändern werden? 

Isadora: Ja. 

Sonja: Man kann die Veränderung in der Denkweise der Menschen sehen. In ganz Serbien. Ich hätte niemals gedacht, dass das passieren könnte. 

Isadora: Der Grund, warum die Korruption in Serbien so schlimm geworden ist, ist, weil die Medien im Dunkeln tappen. Es gibt Menschen auf dem Land, die nur Zugriff auf Propaganda-Medien haben, da sie keinen Zugriff zum Internet haben. Die wissen nicht, was hier wirklich passiert. Aber so wie wir direkt von Beginn an mit den Protesten umgegangen sind, haben wir eine Art Weckruf geschaffen.

UnAuf: Habt ihr Tipps dafür, wie ein Protest so lange anhalten kann? 

Isadorah: Wir haben diese Proteste organisiert, um grundsätzliche Menschenrechte durchzusetzen. Das ist genug, um uns zu vereinen. In den vergangenen Jahren gab es immer mal wieder für zwei bis drei Monate Proteste, die aber von der Opposition geleitet wurden. Gerade gibt es keine politische Partei, keine Opposition, die die Proteste anführt, nur wir Student*innen. Ganz wichtig ist es, nicht aufzugeben. Es gab Tage, an denen ich zu Hause war und nicht wieder hierher kommen wollte, aber ich habe es trotzdem getan. 

UnAuf: Gibt es noch etwas, das ihr Student*innen aus Berlin gerne sagen möchtet?

Sonja: Wir freuen uns über die Möglichkeit, über unseren Protest zu sprechen und darüber, dass Interesse darin besteht. Manchmal wird es hier sehr einsam und wenn ich Posts über unseren Protest in der internationalen Presse oder auf Social-Media sehe, fühle ich mich bestärkt. Das gibt Hoffnung.


Foto: Hannah Isabella Schlünder.