Das Kollektiv Nas Troje („Wir Drei“) ging zuletzt mit dem Protestlied Pisma Mami („Briefe an Mama“) viral. Der Song der Band zeigt, dass Musik und Meinungsfreiheit verflochten sind. Was macht der Protest mit den serbischen Musiker*innen und wie unterstützt ihre Kunst die Protestierenden?
Vor zwei Monaten begegnet Teodora Stojanović, die Leadsängerin des Kollektivs Nas Troje („Wir Drei“), in den Straßen Belgrads einer älteren Frau. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, als sie sich bei ihr bedankt. Ihr Kind sei mit dem Fahrrad auf dem Weg nach Straßburg gewesen, als sie Stojanovićs Lied zum ersten Mal hörte.
Ein bewegender Augenblick für Stojanović, denn sie bemerkt wieder, dass Nas Troje einen Nerv getroffen hat. Das Lied, von dem die Frau spricht, heißt Pisma Mami („Briefe an Mama“) und ist ein Cover des Liebesliedes Pisaću Joj Pisma Duga („Ich werde ihr lange Briefe schreiben“), veröffentlicht 1980 vom Künstler Zdravko Čolić. Damals erzählte es aus der Perspektive eines jugoslawischen Soldaten, der seiner Geliebten Briefe aus der Ferne schreibt. Heute klingt es anders. Nas Troje hat das Lied in eine Bekundung der Solidarität mit den protestierenden Studierenden Serbiens verwandelt. Über 1,4 Millionen Mal wurde das Video auf Instagram seitdem abgespielt.
Nas Troje besteht aus Teodora Stojanović, Marko Jovanović und Stefan Stamenković. Obwohl die Gruppe erst seit Februar letzten Jahres ihre Videos auf Instagram veröffentlicht, kennen sie sich schon viele Jahre. Stojanović und Stamenković sind Schulfreund*innen, Jovanović lernte Stamenković später im Berufsleben kennen. Was als gemeinsames Musikprojekt unter Freund*innen begann, hat sich seit Anfang 2024 stetig weiterentwickelt. Stojanović bringt jahrelange Musikerfahrung mit, singt und spielt Klavier und auch Jovanović beteiligte sich schon früh an einigen Musikprojekten. Er bezeichnet das Kollektiv grinsend als „Schlafzimmer-Coverband“ („kućni cover bend“): Stamenković übernimmt dabei die kreative Leitung und produziert ihre visuellen Inhalte. Stojanović und Jovanović widmen sich den musikalischen Aspekten. Sie schreiben Texte bis Titel um und interpretieren alte Lieder neu.
Die Entstehung des Protestliedes
Mit dem Beginn der Proteste hat sich Stojanovićs Alltag verändert. „Ich bin die ganze Zeit gestresst, ich bin traurig und wütend“, sagt sie. Sie lehrt Innenarchitektur an der Universität der Künste in Belgrad. Im Rahmen der Gehaltskürzungen infolge der Blockade ihrer Fakultät wurde von Februar bis August nur ein Zehntel ihres Gehalts ausgezahlt. Trotz dieser finanziellen Belastung empfindet sie Mitgefühl für ihre Student*innen. Die Blockade eröffnet ihr eine neue Perspektive: „Für mich war es die einzige Zeit in meinem Leben, in der ich Hoffnung gespürt habe. Ich glaube, dass sich endlich etwas verändert.“
Das Kollektiv verfolgt die Proteste aufmerksam. Als im April eine Gruppe von Student*innen beschließt, mit dem Fahrrad nach Straßburg zu fahren, ist für Stojanović, Jovanović und Stamenković klar, sie wollen diese Aktion kreativ unterstützen: „Wir wollten den Liedtext ändern und den Weg beschreiben, den sie auf sich nehmen“, erklärt Jovanović. „Die Perspektive der Briefe wollten wir an eine andere wichtige Person anpassen. Eine Mutter ist wahrscheinlich die Person, die sich am meisten diesen Brief wünscht.“
So entsteht die neue Version des Kultsongs: Leuchtende Pedale im Dunkeln in der ersten Strophe, ein Seitenhieb auf die Regierung in der zweiten und ein Refrain, der schließlich verrät, welchen Weg die Studierenden gefahren sind. Etwa drei Tage vor Ankunft der Student*innen in Straßburg veröffentlichen Nas Troje das Lied, in der Hoffnung, dass es die Radfahrer*innen unterwegs erreicht.
Singen statt Schweigen
Das Cover rückt die Wahrnehmung von Čolićs Lied in einen neuen Kontext, da die Veränderungen des Textes das Lied mit zeitgenössischen Bildern des Protestes auflädt. Die virale Rezeption auf Instagram zeigt, dass sich das serbische Publikum in der gesellschaftlich aufgeheizten Situation mit Nas Trojes Kommentar zu Themen wie Heimat, Zugehörigkeit und Verlust identifiziert. Die Serb*innen projizieren ihre Erfahrungen in den Song. Hierbei entwickelt sich das Cover zu einem Protestlied und entfaltet seine Wirkung vor dem Hintergrund der Wiedererkennbarkeit der Melodie. Es ist diese Wiedererkennbarkeit, die dazu führt, dass bei den serbischen Hörenden Erinnerungen geweckt werden und sich bei ihnen die neue Botschaft des Liedes einprägt.
Protestlieder dienen primär als Ventil für marginalisierte Gruppen. Sie helfen sowohl politische als auch soziale Bewegungen ins Leben zu rufen und dienen als Mittel, um Meinungsfreiheit zu praktizieren. Schon im 19. Jahrhundert traten sogenannte „Antikriegslieder“ auf, die sich in die Kategorie der Protestmusik einordnen lassen. Auslöser für solche Lieder waren nicht allein Kriege, sondern auch Revolutionen, Wirtschaftskrisen oder der Kampf um Rechte in totalitären Systemen. In den letzten zwei Jahrhunderten hat sich aus Protestliedern ein neues Genre entwickelt, das die Musikkultur nachhaltig geprägt hat. Protestmusik ist stilistisch nicht auf ein Genre beschränkt und kann daher in unterschiedlichsten musikalischen Formen, wie beispielsweise der Popmusik, dem Rap, Blues, Folk und Punk, auftreten. Ein prägendes Beispiel für erste Ursprünge der Protestlieder ist der Blues der afroamerikanischen Südstaaten, dessen Wurzeln in den Gesängen der Sklav*innen liegt und der zur Basis zahlreicher moderner Musikrichtungen wie Rock, Jazz, R’n’B und Hip-Hop führte. Unterschiedliche Musikgenres sprechen spezifische Gruppen an. Diese Communities prägen die Stilrichtungen und mobilisieren neues Publikum. Das stärkt wiederum die Bewegungen.
Perspektiven der Musik in Gegenwart und Zukunft
Protestlieder dienen nicht nur zur Mobilisierung von Menschengruppen, sondern schaffen oft kollektive Hoffnung. Sie helfen den Protestierenden, eine gemeinsame, lautere Stimme zu bekommen. Für das Cover des Kollektivs trifft dies genauso zu: Der Song verbindet Studierende und die Menschen, die mit ihnen protestieren, in ihrem gemeinsamen Kampf. Auch die Kommentare des Videos zeigen, dass Nas Troje die Zuhörer*innen berührt. Ein*e Hörer*in schreibt: „Es ist das, was ich lange gesucht und nun gefunden habe.“
Inzwischen feiert Nas Troje erste Auftritte. Stolz erzählen sie, dass Künstler*innen deren Songs sie covern, sich bei ihnen bedanken. Auch über Pisma Mami hinaus haben sie Erfolg und werden inzwischen in ihrem Alltag von Fans für Fotos angesprochen.
Das Lied dient dabei dazu, den Druck der starken Emotionen abzulassen, die der Protest in Nas Troje und den Serb*innen hervorruft. Indem sie die Botschaft des Protests ausdrücken, sprechen sie ein vielfältiges Publikum an. Das Werk ist als Ursprung ihres Erfolgs zu verstehen. Fruchtbar ist der Boden, auf dem sie wachsen, denn das Kollektiv empfindet die Musiklandschaft Belgrads derzeit als karg. Doch das kann sich mit ihnen ändern. Schon jetzt widmen sie sich neuen Projekten und wollen in Zukunft Filmmusik produzieren. Ob sie damit nicht nur die Protestierenden, sondern auch Protestlieder anderer Musiker*innen inspirieren, bleibt offen.
Foto: Marko Jovanović







