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Home #272 SERBIEN Mit dem Zug nach Serbien, geht das?

Mit dem Zug nach Serbien, geht das?

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Ein Flug von Berlin nach Belgrad dauert etwa zwei Stunden. Wer nachhaltig mit dem Zug reisen will, braucht deutlich länger. Unser Autor hat das Experiment gewagt und ist mit Zug und Bus zu unserem Auslandsprojekt angereist.

Mal wieder spät dran, stolpere ich, vorbei an den Menschen mit Koffern die Rolltreppe des Berliner Hauptbahnhofs herunter. Trotz meiner knappen Ankunft bin ich in bester Reisestimmung, denn gleich steige ich in den Nachtzug nach Budapest. Fast am Gleis angekommen, fische ich mein Handy aus der Tasche, um die Musik zu pausieren. Auf dem Bildschirm lese ich eine Push-Mitteilung der ÖBB, die meinen Nachtzug betreiben: „Die Verbindung von Berlin Hbf nach Budapest Nyugati fährt 30 Minuten später ab. Wir bitten um Entschuldigung.“ Naja, zumindest erwische ich den Zug jetzt auf jeden Fall. Erschöpft sacke ich auf einer Bank am Ende des Gleises zusammen. Eigentlich kann nun nichts mehr schief gehen.

Kurz darauf überschlagen sich die Push-Mitteilungen auf meinem Handy und kündigen eine immer größere Verspätung an. Nach eineinhalb Stunden auf der unbequemen Metallbank bin ich dann doch so langsam müde und genervt. Erst nach zwei langen Stunden trudelt dann endlich der Nachtzug ein. Ich steige mit zwei flotten Schritten die Stufen hoch und zwänge mich mit meinem kleinen Reiserucksack und einem Beutel durch den engen Gang des Liegewagens.

Angekommen in meinem Abteil sehe ich, dass ich heute Nacht wohl mit einer vierköpfigen Familie Vorlieb nehmen werde. Kata und ihre drei Söhne sind eine deutsch-ungarische Familie aus Marzahn. Sie trägt ein lockeres weißes Shirt, ein Tattoo umrankt ihren Arm, sie lacht viel. Wie sie mir erzählt, fährt sie seit fünfzehn Jahren jeden Sommer mit dem Nachtzug nach Ungarn. Es sei das erste Mal, dass dieser Zug Verspätung habe. Zwei ihrer Jungs sind im Teenageralter, einer ist Anfang zwanzig. Wenn sie diskutieren, berlinert es durch den Waggon.

Klar kenne ich den Balaton! Allerdings bisher nur aus dem Geografieunterricht

Kata erzählt stolz, dass sie alle in unterschiedlichen Ländern geboren seien: Spanien, Ungarn und Deutschland. Nun sind sie unterwegs zum Balaton in den Urlaub. „Kennst du das?“, fragt sie mich. „Na klar, der Plattensee!“, erwidere ich, „allerdings nur aus dem Geografieunterricht“, schiebe ich hinterher, denn ich bin noch nie dagewesen. Nachdem ich mich über die wacklige Leiter hinauf in mein Bett gehangelt habe, schaue ich mir auf meinem Handy Bilder vom Balaton an und bin beeindruckt. ,Da müsste ich eigentlich auch mal hin‘, denke ich. Während ich als erster unter meiner Decke verschwinde, höre ich wie meine vier Mitreisenden nur noch mit gedämpfter Stimme sprechen, um mich nicht aufzuwecken. Der Zug ruckelt und knirscht, ich gleite sanft in den Schlaf.

Meine Reise habe ich in drei kleine Teiletappen aufgeteilt. Eine Übernachtung in Budapest, und eine Übernachtung in Subotica, einer Stadt im Norden Serbiens an der Grenze zu Ungarn. Normalerweise gibt es eine Direktverbindung von Budapest nach Belgrad. Allerdings wird diese Strecke aktuell im Rahmen der chinesischen Belt and Road Initiative ausgebaut, überwiegend finanziert durch ein Darlehen der Exim-Bank aus China. Wollte ich auf schnellstem Wege weiterreisen, hätte ich mir an einem Bahnhof an der ungarisch-serbischen Grenze die Nacht um die Ohren schlagen müssen. Darauf hatte ich keine Lust und habe mir vorsorglich ein günstiges Zimmer in Subotica gebucht.

Es ist schon eine intime Situation, in die ich im engen Liegewagen mit dieser Familie eintauche. Ich merke auch, wie mich die Mutter zu Beginn prüfend mustert. Ob ich es denn nicht komisch fände, so ein Sechser-Schlafabteil mit fünf verschiedenen Menschen zu teilen. Ich muss lachen. Naja, ich hätte bisher gute Erfahrungen gemacht und habe auch Vertrauen, dass mir meistens nette Menschen begegnen. Ich komme mir ein bisschen dumm und gutgläubig vor.

Bahnhof Nyugati in Budapest

Emissionsfrei oder emissionsärmer?

Nach Angaben der ÖBB habe ich bereits auf der ersten Etappe von Berlin nach Budapest 208,61 Kilogramm CO₂ gespart. Musik in meinen Ohren. Grundlage für diese Zahlen sind Vergleichszahlen mit dem durchschnittlichen Ausstoß einer Person pro mit einem PKW gefahrenen Kilometer. Gleichwohl wäre für diese Reise nicht das Auto, sondern das Flugzeug eine realistische Alternative gewesen.

Hier hätte ich für die gesamte Distanz von Berlin nach Belgrad etwa 114 Kilogramm CO₂ ausgestoßen, beziehungsweise über das dreifache CO₂-Äquivalent, wenn man die Klimawirkung in der Flughöhe berücksichtigt. Mit Bahn und Bus waren es schlussendlich nur etwa 32 Kilogramm CO₂. Das bedeutet also eine faktische Ersparnis von 308 Kilogramm CO₂. Nicht schlecht, denke ich. Die Recherche zeigt jedoch auch: eine Fahrt ist nie vollkommen „emissionsfrei“. Auch meine Zugreise ist mit einem CO₂-Ausstoß verbunden.

Der Abschnitt zwischen Budapest und Subotica verläuft unspektakulär. Als ich in Subotica ankomme, will ich mir direkt ein Ticket für die Weiterfahrt am nächsten Morgen nach Belgrad kaufen. Die Frau am Schalter schaut mich irritiert an und gibt mir zu verstehen, dass keine Züge nach Belgrad fahren. Sprachlos blicke ich sie an. Darauf war ich nicht vorbereitet. Vorab hatte ich online drei verschiedene Verbindungen pro Tag gesehen. Auf meiner letzten Etappe muss ich nun also doch noch von der Schiene auf die Straße wechseln.

Schlaflos in Subotica

In meiner Unterkunft suche ich dann nach einer Busverbindung für den nächsten Morgen. Dabei stoße ich schnell auf unterschiedliche Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen und sich häufende Busunglücke bei Niš Express. Nun werde ich doch nochmal etwas nervös. Nach einiger Recherche finde ich einen Anbieter, der zwar etwas länger braucht, bei dem aber zumindest keine Unfälle bekannt sind.

Ich denke mir: lieber später ankommen als gar nicht. In der Nacht bekomme ich trotzdem kein Auge zu. Am nächsten Morgen schlendere ich um sechs Uhr durch Subotica und steige in einen alten Mercedes-Reisebus. Ich rutsche tief in meinen Sitz und schlafe sofort ein. Erst das aggressive Hupen und eine abrupte Bremsung des Busfahrers auf einer gigantischen Stadtautobahn reißen mich aus dem Schlaf. Als ich vorsichtig meine Augen öffne, wird mir klar, dass ich es gleich geschafft habe. Wenige Augenblicke später bin ich endlich an meinem Ziel angekommen und berühre Belgrader Boden.

Insgesamt war ich nun drei Tage unterwegs, reine Fahrtzeit 24 Stunden. Alleine für den Zwischenstopp in Budapest hat sich die Fahrt schon gelohnt. Allerdings war sie auch mit einem deutlich größeren Aufwand verbunden, da ich die Tickets bei unterschiedlichen Zug- und Busanbietern buchen musste. Insbesondere die Unterkünfte und der Nachtzug fielen ins Gewicht – die Anreise mit Bahn und Zug war fast doppelt so teuer wie der Flug mit einer Billigairline. Die neue Direktverbindung zwischen Budapest und Belgrad hätte meine Reise deutlich erleichtert.

In Belgrad angekommen, steige ich in eine Tram, die mich zur Unterkunft bringt. Am Bahnsteig finde ich keinen Fahrkartenautomaten. Jetzt nur nicht auf den letzten Metern in Schwierigkeiten kommen. Aber wie in Gottes Namen kann ich mir hier ein Ticket ziehen? Vielleicht in der Tram? Ich frage einen Jugendlichen auf Englisch. Er funkelt mich überlegen an und sagt: „it’s free!“


Bilder: Tobias Würtz