Die serbische NGO „CRTA“ beobachtet seit 2016 nationale und lokale Wahlen in Serbien, stärkt demokratische Kultur, offene Institutionen und unabhängige Medien – und gerät damit selbst ins Visier von Präsident Vučić und seiner Partei. Ein Blick hinter die Kulissen einer Organisation, die trotz Hetzkampagnen und Bedrohungen nicht aufhört, für faire Wahlen und demokratische Rechte einzutreten.

„Wir sehen uns selbst als Demokratieverteidiger*innen, haben aber noch nie in einer Demokratie gelebt. Es ist also eine Art Traum.“ So erklärt Vukosava Crnjanski, Direktorin der Nichtregierungsorganisation Center for Research, Transparency and Accountability, kurz CRTA, den Kern ihrer Arbeit. Unser Gespräch beginnt damit, dass wir gebeten werden, unsere Mobiltelefone in ein großes verschließbares Glas zu legen. Vukosava Crnjanski und Rasa Nedeljkov sind ganz ohne Handys zum Gespräch erschienen. Tonaufnahmen sind nicht erlaubt. Die einzigen, die zuhören dürfen, sind die zwei Bürohunde, die im Konferenzraum friedlich unter dem Tisch liegen und uns während des gesamten Interviews Gesellschaft leisten. 

Die Vorsicht hat einen Grund: Die beiden sind dafür sensibilisiert, dass ihre Aussagen vollkommen verfremdet und gegen sie verwendet werden können. Durch die von CRTA veröffentlichten Berichte sowie die Dokumentation von Unregelmäßigkeiten und Manipulationsmechanismen im Zusammenhang mit den Wahlen sind sie für den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und seine Anhänger zu Zielscheiben geworden. Vučić und seine Partei, die Serbische Fortschrittspartei SNS, sind seit 13 Jahren ununterbrochen an der Macht und dominieren und kontrollieren seither weite Teile der serbischen Medienlandschaft. 

An der Wand des Büros steht der Satz „Nothing Is True and Everything Is Possible“, der Titel eines Buches des russischen Autors Peter Pomerantsev. Rasa Nedeljkov, Programmdirektor der Organisation, erklärt, inwiefern dieses Zitat auf die serbische Regierung zutrifft. „In unserer Gesellschaft gibt es keine Verantwortung. Die Politiker*innen vermeiden das.“ 

Auf die Frage, welche konkreten Unregelmäßigkeiten das CRTA bei den letzten Wahlen beobachtet habe, erklärt Nedeljkov, dass es vier Hauptfaktoren gebe. Diese umfassen das Ausüben von politischem Druck auf Wähler*innen sowie die Bedrohung und Erpressung am Arbeitsplatz zur Wahlbeeinflussung. Insbesondere im öffentlichen Sektor spielt das eine Rolle. Weiterhin gibt es Nachweise für den Missbrauch von Wähler*innenlisten. Das betrifft sogenannte „Phantomwähler*innen“, Personen, die offiziell im Wählerverzeichnis einer Gemeinde eingetragen sind, dort aber nicht tatsächlich wohnen – oder gar nicht existieren. Das bedeutet, sie erscheinen nur auf dem Papier, können aber für die Wahl und dementsprechend für Stimmen „genutzt“ werden. Hinzu kommt, dass der Betrug, obwohl es bereits Strafanzeigen für Dokumentenfälschung sowie Stimmenkauf gab, ohne Konsequenzen bleibt. 

Auch der fehlende Medienpluralismus in Serbien spielt für den Ausgang der Wahlen eine entscheidende Rolle. So sehen Bürger*innen, die ausschließlich auf die größten TV-Sender und Boulevardzeitungen zurückgreifen, fast nur pro-SNS-Botschaften. Laut Vukosava Crnjanski sprach Aleksandar Vučić in den öffentlichen Medien im vergangenen Jahr  über 350 Mal ohne jegliche Unterbrechung oder Einordnung durch Journalist*innen im öffentlichen Fernsehen zur serbischen Bevölkerung. Auch dieses Jahr gab es bereits um die 250 Ansprachen. Diese Zahlen zeigen, dass Vučić nicht nur in Wahlkämpfen, sondern auch im Alltag überproportional viel Sendezeit bekommt, während die Opposition kaum zu Wort kommt. „Vučić ist alles“, fasst Crnjanski zusammen. Die Opposition muss stattdessen auf soziale Medien oder wenige unabhängige Kanäle setzen, die nur einen Bruchteil der Bevölkerung erreichen. 

Um den beschriebenen Unregelmäßigkeiten entgegenzuwirken unterstützt und koordiniert CRTA ein Programm, bei dem Tausende von Bürger*innen nach den höchsten internationalen Standards für bürgerliche Wahlbeobachtung geschult werden, um Unregelmäßigkeiten der Wahlen zu beobachten und die Bedingungen für freie und faire Wahlen zu verbessern. 

Doch Menschen, die sich in Serbien gegen die Regierung positionieren und diese kritisieren, werden in Pro-Regierungsmedien persönlich attackiert teils mit der Veröffentlichung privater Fotos und manipulierter Videos oder Behauptungen über „ausländische Bezahlung“. Das betrifft auch die Mitarbeiter*innen von CRTA, die aufgrund ihrer Arbeit ebenfalls regelmäßig Hetz- und Verleumdungskampagnen in den regierungsnahen Medien ausgesetzt sind. So wird beispielsweise öffentlich verbreitet, die Direktor*innen würden teure Mercedes fahren und zusätzlich in großen Villen in der teuersten Gegend Belgrads wohnen. Sie werden als Verräter*innen gebrandmarkt unwahre Behauptungen, die sowohl die Glaubwürdigkeit der Organisation untergraben als auch sie als Personen in ein negatives Licht rücken. Die Regierungsanhänger*innen scheuen sich nicht, drastische Maßnahmen zu ergreifen. Srbislav Filipović, Mitglied der regierenden Serbischen Fortschrittspartei, beleidigte beispielsweise während einer Parlamentssitzung am 7. April 2021 den Vorsitzenden der oppositionellen Partei für Freiheit und Gerechtigkeit Dragan Đilas als Faschist und Nazi und verglich ihn darüber hinaus mit Adolf Hitler. 

Doch in den letzten Monaten hat sich vieles verändert. „Die Menschen haben immer weniger Angst, ihre Meinung zu sagen. Sie haben genug von der Korruption. Sie sehen, dass Korruption tötet“, so Vukosava Crnjanski. Im vergangenen Jahr führte das Forschungsteam des CRTA eine Meinungsumfrage zum Thema „Einstellungen der serbischen Bürger*innen zu Protesten und Universitätsblockaden“ durch. Diese ergab, dass 61 Prozent der Bürger*innen die Proteste und Blockaden unterstützt. Auch das CRTA unterstützt die Studierenden, indem Mitarbeiter*innen unter anderem Vorlesungen und Workshops an Universitäten geben. Vukosava Crnjanski und Rasa Nedeljkov erklären, dass die Proteste tiefe gesellschaftliche Brüche offenbaren bis in Familien hinein. So wurde ihnen im Kontakt mit den Studierenden häufig von Großeltern mit konservativen Ansichten berichtet, die ihre Enkel*innen, die sich aktiv an Protesten beteiligen, nun als Verräter*innen ansehen. 

Von der Mehrzahl der Bürger*innen wurden die Studierenden jedoch laut der Umfrage als Motor des Wandels angesehen und genossen sogar mehr Vertrauen als Politiker*innen. Als größte Probleme des Landes wurden Korruption, Inflation und Armut genannt. Die Verantwortung für die Katastrophe von Novi Sad wurde Minister*innen, dem Präsidenten, Bauunternehmer*innen und den Aufsichtsbehörden zugeschrieben. CRTA gibt an, den Studierenden selbst vor allem indirekt zu helfen, durch Faktenchecks sowie die Stärkung der Werte, die die Studierenden vertreten. Das Faktencheck-Portal Istinomer, welches CRTA im Jahr 2009 startete, ist verifiziertes Mitglied des Europäischen Netzwerks für Faktencheck-Standards und seit 2020 Metas exklusiver lokaler Partner für Serbien im Kampf gegen Desinformation auf Facebook und Instagram. Es war das erste in Serbien und der gesamten Region. 

„Wir sind die Verbündeten“, sagen die Direktor*innen, denn schlussendlich stehen sowohl CRTA als auch die Studierendenbewegung für ein demokratisches Serbien, in dem alle Menschen frei und fair wählen dürfen.


Foto: Emely Stache.