Meine Kommilitonin Marlene* macht eher selten Dinge allein, hat vieles noch nie solo unternommen. Ich hingegen gehe oft und gerne allein auf Konzerte, Reisen und Partys. Also habe ich ihr die Aufgabe gestellt, mutig zu sein und etwas zu tun, was sie noch nie vorher gemacht hat: Allein auf ein Konzert gehen. Danach haben wir über ihre Erfahrung und die grundsätzlichen Hürden, Vorteile und Unterschiede zu Gruppenunternehmungen gesprochen

Jakob: Was war dein erster Gedanke, als ich dich gefragt habe, ob du bei dieser Herausforderung mitmachen würdest? 

Marlene: Ich glaube schon Respekt, im Sinne von „Ich habe es noch nie gemacht“. Aber ich hatte auch Bock drauf. Beides gleichzeitig. 

Jakob: Was waren deine größten Bedenken oder Ängste bei der Idee, allein auf Konzerte zu gehen? 

Marlene: Ich glaube vor allem, was dann andere Leute denken. Wenn die merken, ich bin alleine auf einer Veranstaltung, wo man meist mindestens zu zweit ist. Dass Leute sich dann denken: „Hä, warum ist sie jetzt alleine hier? Hat sie keine Freunde? Wurde sie sitzen gelassen?“ Wenn ich wüsste, es gäbe nicht irgendwelche gesellschaftlichen Konventionen in diese Richtung, dann hätte ich es, glaube ich, schon viel früher ausprobiert. 

Jakob: Und wie war es dann am Abend? Gerade die ersten Momente, wenn man allein ankommt, können ja schon schwierig sein. 

Marlene: Ich habe direkt gemerkt, dass einige Leute allein auf diesem Konzert sind, weil auch einige allein in der Schlange standen. Das hat mir vor allem Sicherheit gegeben, zu wissen, ich bin nicht die einzige, die hier alleine ist. 

Jakob: Würdest du sagen, dass du an dem Abend zum ersten Mal genauer darauf geachtet hast?

Marlene: Ja, das war an dem Abend zum ersten Mal eine Kategorie. 

Jakob: Was ja auch gut zeigt, dass es eigentlich kein großes Ding ist und viele gar nicht darauf achten, ob jemand alleine da ist. 

Marlene: Ja, obwohl ich ein bisschen das Gefühl hatte, dass die Menschen das schon irgendwie registriert haben. Ich würde auch sagen, dass die Mehrheit des Publikums eher nicht so meine Peer-Group war. Das war schon primär weiß. Alter war etwas durchmischt, aber halt eher so Indie-Menschen. Da bin ich schon etwas herausgefallen. Obwohl… Ich bin vielleicht am ehesten Leuten aufgefallen, die auch allein da waren. Vielleicht auch dadurch, dass die vielleicht ein bisschen socializen wollten? Aber ich fand es nicht unangenehm. Es wurde registriert, dass ich allein bin, aber nicht so „Oh Gott“, eher so „Ah ja, sie auch“ 

Jakob: Mit dem sozialen Aspekt, mit Fremden ins Gespräch kommen ist ja jeder anders. Ich zum Beispiel gehe oft allein auf Konzerte und socialize dann fast nie. Ich war in New York allein Konzerten, da war das Publikum sehr viel offener und ich bin fast immer mit wem ins Gespräch gekommen, mal von mir ausgehend, mal von anderen. 

Marlene: Hast du da wirklich Lust auf socializen oder hattest du das Gefühl, du musst es machen? 

Jakob: Müssen gar nicht. Vielleicht war es, als ich angefangen habe, allein Sachen zu unternehmen anders, aber mittlerweile bin ich voll in dem Modus, dass ich es genieße, eben nichts machen zu „müssen“, keinen Druck zu spüren, und frei zu entscheiden, was ich mache. Ich socialize dann, wenn mir langweilig ist und ich denke: „Die Person sieht nett oder interessant aus, vielleicht könnte da ein gutes Gespräch entstehen“. Wie war es bei dir? 

Marlene: Ja. Ich hatte vorher gedacht, ich würde einen Zwang verspüren, mit anderen ins Gespräch zu kommen, damit es nicht so auffällt, dass ich allein bin. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, alle waren für sich in ihren Gruppen und dann dachte ich: „Nee, ich muss jetzt nicht auf Zwang socializen“. Ein bisschen awkward war es, in der Pause zwischen den Bands draußen zu stehen und zu rauchen und allein mein Getränk zu trinken. Aber dann bin ich wieder rein, hab mich an die Bar gesetzt und dann war es wieder voll nett. 

Jakob: Wie war die Erfahrung beim tatsächlichen Konzert, als die Band dann gespielt hat? Was war so der Unterschied verglichen mit, wenn du mit anderen auf ein Konzert gehst? 

Marlene: Ich fand es viel entspannter als mit anderen, muss ich sagen (lacht). Vielleicht mache ich es jetzt öfter. Zum Beispiel war vor mir ein Pärchen, und dann haben die immer mitten in den Songs sich über die Musik hinweg was zugerufen, weil die halt so laut reden mussten, um sich zu hören. 

Jakob: Ah ja, die Daueryapper (lacht). 

Marlene: Genau das. Ich habe richtig gemerkt: „Zum Glück passiert mir das gerade nicht“. Klar, man will sich austauschen, aber eigentlich ist man ja für die Musik da. Ich fand es richtig entspannt, dass ich jetzt einfach nur die Musik höre, ohne dass ich angequatscht werde oder dass ich jemanden anquatsche. Also beim Konzert selber fand ich es richtig geil. Ich hatte auch gar nicht das Gefühl, dass da irgendwer auf mich achtet, weil alle voll mit sich selbst beschäftigt waren und es dunkel war. Ich liebe halt die Venue des Konzerts, den Schokoladen, als Ort und ich glaube, weil mir der Ort auch so vertraut war, war es einfacher, als wenn es ganz woanders, Uber Arena oder so, gewesen wäre. 

Jakob: Insgesamt also eine positive Erfahrung, das erste Mal allein auf einem Konzert? 

Marlene: An sich schon. Aber nach dem Konzert bin ich eher schnell gegangen – ganz chillig war es dann doch nicht. Sonst hätte ich wahrscheinlich noch Leute nach einer Kippe gefragt und mir noch ein Getränk geholt. 

Jakob: Für die Party, die direkt im Anschluss in der Venue war, bist du also nicht geblieben. Ich hatte mir vorher überlegt, ob ich das noch als Zusatzherausforderung vorschlage, aber ich dachte, dass wäre vielleicht too much an einem Abend. 

Marlene: Das hätte mich definitiv noch mehr Überwindung gekostet. Beim Feiern wäre ich dann zu viel mit mir. Beim Konzert schauen alle nach vorne, es gibt quasi etwas, das alle konsumieren. Deshalb finde ich es auch einfacher, allein ins Kino zu gehen. Ich dachte auch kurz an die Party danach – als Extra-Challenge –, aber hab’s gelassen. 

Jakob: Beim Allein feiern gehen muss man ja auch klar sagen, dass es als weiblich gelesene Person nochmal ganz andere Faktoren gibt, die das schwierig gestalten: das Risiko von irgendwelchen creepy dudes angesprochen zu werden und allein hin und zurück zu fahren. Das ist dann auch mehr als nur Mut, sondern auch eine gewisse Risikobereitschaft und Sicherheitsgefühl. 

Marlene: Ja, das stimmt. Das hätte ich jetzt im Schokoladen nicht so gesehen… Ich mein klar, alles kann passieren, aber das ist ja jetzt nicht so ein Club-Club. Aber da wäre die Challenge schon mehr gewesen. Vielleicht beim nächsten Mal. An sich kann ich mir schon vorstellen, jetzt mehr allein auszuprobieren.  

Jakob: Zum Abschluss noch: Was würdest du Leuten sagen, die mal allein auf ein Konzert oder ähnliches wollen, sich aber nicht trauen?

Marlene: Ich würde jetzt nicht prinzipiell immer sagen, mach es, weil ich echt gecheckt habe, dass es verschiedene Gründe gibt, die dagegen sprechen. Aber wenn es wirklich mit Mut zu tun hat, dann würde ich schon versuchen, der Person Mut zu machen. Es hat auch Vorteile, zusammen auf ein Konzert oder zusammen in einen Film zu gehen. Aber wenn Leute es mal allein machen wollen und sich nicht trauen: „Go for it, du juckst niemanden“ (lacht) 


 Illustration: Lucia Maluga