Dass man sich auch konstruktiv ums sogenannte „Stadtbild” sorgen kann, zeigt die Initiative Berlin Werbefrei. Für eine höhere Lebensqualität sollen vor allem große Werbeanzeigen verschwinden.

Das gleißende Licht der digitalen Werbetafel strahlt in die dunkle Wohnung der Spandauerin Sylvia Weiss – nur zwischen 22 Uhr nachts und 6 Uhr morgens gibt die Anzeige Ruhe. Ein Video dieser stetigen Belastung spielt die Volksinitiative Berlin Werbefrei den Berliner Abgeordneten bei der öffentlichen Anhörung am 10. November vor. In der anschließenden hitzigen Debatte zeigt sich, wie politisch Werbung sein kann.

Nachdem ein erster Versuch, der Werbung per Volksbegehren den Kampf anzusagen, 2019 fehlschlug, kommt nun frischer Wind in die Sache. Im August hat der Senat den Gesetzesvorschlag der Initiative für rechtmäßig erklärt. Wenn das Abgeordnetenhaus die wesentlichen Inhalte des vorgeschlagenen Gesetzes bis Dezember nicht übernimmt, muss Berlin Werbefrei zwischen Januar und März 2026 mindestens 171.000 Unterschriften sammeln. Dann könnten die Berliner*innen am 20. September 2026 parallel zur Wahl des Abgeordnetenhauses auch über die Zukunft der omnipräsenten Werbung abstimmen.

Trotz des plakativen Namens der Initiative geht es aber keinesfalls um die Verbannung jeglicher Werbung. Bekämpft werden solle laut Mitbegründer Fadi El-Ghazi vor allem die „optische Dominanz” großer Werbeanzeigen im öffentlichen Raum. Dabei sieht der Gesetzesentwurf eine Begrenzung in Größe und Format von Werbetafeln vor, digitale Werbeanlagen würden pauschal verboten werden. So wären beispielsweise auch die riesigen Werbungen an Baugerüsten oder große leuchtende Werbetafeln an Straßen passé.

Generell möchte die Initiative eine höhere Lebensqualität ermöglichen, ohne wirtschaftliche Interessen dabei außen vor zu lassen. Werbung an Litfaßsäulen und U-Bahnhöfen, wie auch an den eigenen Geschäften der Werbenden, soll weiterhin erlaubt bleiben. Ein „Wettrüsten” bei Werbeanzeigen möchte die Initiative allerdings verhindern. Damit meint Mitbegründerin Sarah Mohs die immer aufdringlicheren Strategien der Werbebranche.

Aber auch die Kommerzialisierung von kulturellen Räumen und Praktiken kann die Lebensqualität in der Großstadt stark beeinträchtigen. Dabei sind es oft auch multinationale Konzerne, die sich an öffentlichen Flächen und subkulturellen Praktiken wie der Street-Art oder dem Graffiti bedienen, um ihre Produkte auf subtile Art und Weise zu bewerben. Berlin Werbefrei möchte dem entgegenwirken und jeweils die Hälfte der Fläche öffentlicher Werbeanlagen lokalen Vereinen, Kultureinrichtungen und Veranstaltungen zur Verfügung stellen. Auch der beständigen Reizüberflutung des 21. Jahrhunderts soll mit der Reduzierung blinkender Reklameanzeigen entgegengewirkt werden. Die Initiative fordert somit ein Berlin, in dem man wieder mehr über die eigene Aufmerksamkeit entscheiden kann.

Die meisten Fraktionen im Abgeordnetenhaus wie auch der Senat scheinen zumindest Nachbesserungsbedarf in der Regulierung von Werbung zu sehen. Die Berliner Grünen und Linken unterstützen die Initiative ausdrücklich, während SPD und CDU eher kritisch bleiben. Dissens gibt es vor allem in der Frage, wie hoch die wirtschaftlichen Einbußen der vorgeschlagenen Verschärfungen ausfallen würden und wem diese zumutbar seien. Auch sehen CDU und Senat die bestehenden Regelungen grundsätzlich als ausreichend an. Wenn das Abgeordnetenhaus sich in der Sache nicht einigen kann, muss Berlin Werbefrei im nächsten Jahr genug Berliner*innen überzeugen, dass ihre Stadt von weniger Werbung am Ende mehr hat.


Foto: K8

Änderung der Redaktion: „Wenn das Abgeordnetenhaus die wesentlichen Inhalte des vorgeschlagenen Gesetzes bis Dezember nicht übernimmt, muss Berlin Werbefrei zwischen Januar und März 2026 mindestens 171.000 Unterschriften sammeln.” Der Satz wurde angepasst: „Wenn das Abgeordnetenhaus die wesentlichen Inhalte des vorgeschlagenen Gesetzes bis Dezember nicht übernimmt, muss Berlin Werbefrei zwischen Januar und Anfang Mai 2026 mindestens 171.000 Unterschriften sammeln.”