Zum Verweilen und Flanieren lädt der heutige Potsdamer Platz nicht wirklich ein. Einst eines der schillerndsten und meist frequentierten Zentren Mitteleuropas, präsentiert er sich mittlerweile als aalglatte „Hochhaus-City”. Warum dieses Konzept der Geschichte des Platzes nicht im Ansatz gerecht wird.

„Naja, da ist halt der DB-Tower, das Sony Center und eine von Dutzenden Burgermeister-Filialen. Ansonsten ein paar Reihen an Bürogebäuden und…achja! Die Mall of Berlin steht da ja auch noch rum. Oder ist das schon der Leipziger Platz?”

So oder so ähnlich wurde mir als Neuankömmling in Berlin einer der angeblich bedeutendsten Plätze der Hauptstadt vorgestellt. Dieser befindet sich direkt in Mitte und so dachte ich wäre damit eine Art Zentrum der Stadt, vergleichbar mit der Puerta del Sol in Madrid oder der Piazza di Spagna in Rom. Gut, die Beschreibung meines Kumpels machte mir zwar wenig Mut, aber irgendetwas Interessantes lässt sich doch bestimmt finden…oder?

Einmal da gewesen, hätte meine Ernüchterung kaum gewaltiger sein können: Gesichts- und seelenlose Glaskästen und kubusförmige „Office-Spaces” bestimmen das triste, graue Bild des Platzes. Aber wie kann das sein?

Die Gründe dafür dürften allen bekannt sein, die im Geschichtsunterricht kein Nickerchen gemacht haben. Der Platz wurde schließlich im Zweiten Weltkrieg zur vollständigen Unkenntlichkeit zerbombt und lag anschließend fast 50 Jahre brach, da die deutsch-deutsche Grenze mitten hindurchlief. Schaut man sich allerdings heute Bilder aus den 1920er- oder 30er-Jahren an, erleidet man eventuell einen akuten Heulkrampf. Das war ja mal schön da!

Bereits vor dem Anfang des 20. Jahrhunderts galt der Platz als einer der Hauptverkehrsknotenpunkte der wachsenden Metropole Berlin. Das jüdische Kaufhaus Wertheim, das Künstlercafé Josty, die Erlebnisgastronomie im Haus Vaterland, der Potsdamer Bahnhof sowie das in den 1930ern als modern geltende Columbushaus bestimmten vor langer Zeit einmal das geschäftige Treiben. Seit den frühen 1910er-Jahren von manchen Kritikern als „Moloch” oder „Großstadtkloake” verschrien, bildete sich am und um den Platz herum ein Amüsierviertel für Feierlustige, samt Varietétheatern, Kneipen und Straßenprostitution. Das Gemälde Potsdamer Platz, 1914 des expressionistischen Künstlers Ernst Ludwig Kirchner stellt den „verruchten Glamour” des Platzes eindrucksvoll dar, mitsamt elegant gekleideten Damen – möglicherweise Sexarbeiter*innen – inmitten einer stark verzerrten, nächtlichen Straßenszene. Das Besondere am Schönen ist allerdings, dass es vergänglich ist; so auch hier.

Nachdem der Platz nach der Schlacht um Berlin schwere Zerstörungen erlitten hatte und ab dem Mauerbau für knappe 30 Jahre eine Art Niemandsland zwischen Ost- und Westberlin darstellte, begann kurz nach der Wiedervereinigung die Neubebauung des Geländes. Entgegen der Erwartung einer klassischen Rekonstruktion lancierte der italo-britische Architekt Richard Rogers das Konzept einer modernen Hochhaus-City. Trotz andauernder Proteste seitens der Berliner Bürger*innen wurde das Konzept teilweise umgesetzt. Das Ergebnis erinnert im besten Fall an eine unausgereifte Version des Pariser Viertels La Défense, im schlechtesten wünscht man sich die innerstädtische Brache zurück.

Was sich festhalten lässt: Der Potsdamer Platz war augenscheinlich einmal eines der, wenn nicht sogar das Zentrum unserer Hauptstadt.

Um nicht in fragwürdiges „Früher war alles besser!”-Territorium abzudriften, sollte klargestellt werden, dass die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und vor der NS-Herrschaft keineswegs so rauschend und euphorisch für die breite Bevölkerung Deutschlands war, wie so oft in sämtlichen Medien dargestellt. Hyperinflation, Arbeitslosigkeit, daraus resultierende Kleinkriminalität und Zwangsprostitution waren allgegenwärtig. Lediglich eine dünne, dekadente Oberschicht erlebte die legendären „Roaring 20s” in vollen Zügen.

Darüber hinaus ist das Schicksal des Potsdamer Platzes selbstverständlich kein Einzelfall: bedeutende Bauten und Plätze wie der Alexanderplatz, der Anhalter Bahnhof und der Schlesische Bahnhof (heute Ostbahnhof) wurden ebenso dem Erdboden gleichgemacht. Alleinstellungsmerkmal des Potsdamer Platzes ist seine zentrale Lage und die damit verbundene, ehemalige Grenzsituation.

Das Berlin von heute hat mit der Metropole von damals in vielerlei Hinsicht wenig gemein. Das gewollt neutral wirkende Stadtbild samt reihenweise entstuckter Altbaufassaden, Glaskästen, welche genauso in Kuala Lumpur stehen könnten, und den immer noch teilweise vorhandenen, unbebauten Flächen im ehemaligen Ostberlin machen die deutsche Hauptstadt zu einem aus architektonischer Sicht eher uninspirierenden Ort. Sollte man diesem Umstand entgegenwirken? Oder macht dieser spezielle, depressiv-angehauchte Flair das moderne Berlin gerade aus?


Foto: Ansgar Koreng (Wikimedia Commons)