Seit zehn Jahren engagiert sich die Initiative Bizim Kiez im Berliner Wrangelkiez gegen Ausverkauf und steigende Mieten. Was mit der Rettung eines Gemüseladens begann, ist heute eine politische Stimme gegen Gentrifizierung. Mitstreiter der Initiative, Max Müller und Philipp Vergin, berichten, wie gemeinschaftlicher Zusammenhalt Verdrängung entgegenwirkt.
UnAuf: Wie und warum entstand die Initiative Bizim Kiez?
Max Müller: Ursprünglich gründete sich die Initiative im Jahr 2015, als der kleine, familiengeführte Gemüseladen Bizim-Bakkal im Wrangelkiez von der Schließung bedroht war. Für viele in der Nachbarschaft war der Laden ein wichtiger Treffpunkt, ein Ort des Zusammenhalts. Die Empörung darüber, dass ein Investor so viel Macht hat, in das alltägliche Leben unserer Nachbarschaft einzugreifen, brachte spontan ein paar Menschen zusammen, die ein erstes Treffen organisierten. Ziel war von Anfang an eine soziale Nachbarschaft, in der jeder willkommen ist. So wurde aus der Solidarität mit Bizim-Bakkal eine dauerhafte Initiative.
UnAuf: Was sind eure wichtigsten Aktionen gegen Verdrängung?
Philipp Vergin: Ein fester Bestandteil unserer Arbeit ist die traditionell widerständige Laternen-Demonstration gegen Verdrängung und Gentrifizierung. Diese findet dieses Jahr zum ersten Mal seit zehn Jahren nicht statt. Dafür organisieren wir im Januar eine große Soli-Party für die Anwohnerklage gegen die Zaunpläne um den Görlitzer Park. Ein wichtiger Schwerpunkt ist unsere Mitarbeit im Bündnis Görli-Zaun-frei, das sich gegen die geplante nächtliche Schließung des Görlitzer Parks einsetzt. Der Park ist einer der wenigen Grünräume in Friedrichshain-Kreuzberg und ein wichtiger sozialer Ort, der in den 1980er- und 1990er-Jahren durch Anwohner*innen erkämpft wurde. Die Zaunpläne sind Teil einer rassistischen und rechtspopulistischen Politik, die soziale Probleme – Obdachlosigkeit, Armut, Drogen – nicht löst, sondern verdrängt. Wir brauchen soziale Lösungen für soziale Probleme. Außerdem beteiligen wir uns regelmäßig an stadtpolitischen Aktionen, etwa der 1.-Mai-Mobilisierung im Grunewald oder Projekten wie Unkürzbar. Immer wenn es konkrete Fälle von Verdrängung in unserem Kiez gibt, versuchen wir, Gegenwehr zu organisieren.
UnAuf: Wo hat Bizim Kiez etwas bewirken können?
Philipp Vergin: Besonders in Erinnerung geblieben ist mir der Kinderladen Bande in der Oranienstraße. Dort wollte ein Immobilienfonds nach dem Kauf des gesamten Blocks die Miete vervierfachen. Durch Proteste konnten wir erreichen, dass der Kinderladen bleiben durfte. Viele unserer Kämpfe sind nur teilweise erfolgreich, aber das Entscheidende ist oft der Prozess selbst: Menschen kommen zusammen und merken, dass sie gemeinsam etwas bewegen können.
Max Müller: Ein Moment, der für viele von uns sehr bestärkend war, war der Erfolg des Volksentscheids Deutsche Wohnen & Co enteignen. Viele aus unserer Initiative haben damals Unterschriften gesammelt und mobilisiert. Auch wenn die Umsetzung bis heute aussteht und das Thema politisch schwierig bleibt, hat das Ergebnis den Leuten Mut gemacht. Es öffnete einen Diskursraum über Vergesellschaftung und eine Stadtentwicklung, die nicht zwangsläufig den Investoreninteressen folgen muss. Der Volksentscheid hat gezeigt: Eine soziale und gerechtere Wohnungs- und Mietenpolitik ist möglich.
UnAuf: Wie sind die Folgen von Gentrifizierung im Wrangelkiez zu spüren? Welche Entwicklungen habt ihr in den letzten Jahren beobachtet?
Philipp Vergin: Ich wohne seit über 20 Jahren im Wrangelkiez und habe mehrere Wellen von Gentrifizierung und Spekulation erlebt. Mittlerweile gibt es wieder viel Leerstand im Gewerbe, weil die Mieten so explodiert sind, dass sich legale Geschäftsmodelle kaum noch lohnen. Viele Häuser wurden mehrfach verkauft und sind heute im Besitz verschiedener Fonds. Gleichzeitig hat sich das soziale Bild verändert: Es gibt immer mehr Armut, Drogenkonsum, psychische Probleme. Der Kiez ist rauer geworden. Auf der Straße sieht man den Leuten beim Absturz zu, während oben Luxuswohnungen entstehen. Es ist belastend, denn wir wissen, dass diese Probleme strukturell sind.
Max Müller: Unter der rot-rot-grünen Koalition in Berlin gab es einen kleinen Aufbruch, mit neuen Gesprächen, für ein gerechteres Gewerbemietrecht. Mit der Bildung der rot-schwarzen Koalition ist dieses Momentum jedoch abgeflaut und das Klima deutlich kälter geworden. Erschwerend kommt hinzu, dass viele politische Vorhaben auf Landesebene ohnehin an bundesrechtlichen Zuständigkeiten scheitern.
UnAuf: Warum greifen aktuelle Mietgesetze und politische Maßnahmen nicht ausreichend in Berlin?
Philipp Vergin: Maßnahmen wie die Einführung von Milieuschutzgebieten helfen, aber längst nicht weitreichend genug. Viele Wohnungen stehen dauerhaft leer oder werden möbliert zu überhöhten Preisen vermietet. Auch Wohnraumbewirtschaftungsgesetze werden diskutiert, was sehr gut ist. Notwendig ist jedoch vor allem die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne, ein Umwandlungsverbot, das kommunale Vorkaufsrecht und ein Verbot von Eigenbedarfskündigungen. Sozialer Wohnungsbau muss wieder dauerhaft gefördert und langfristig an leistbare Mieten geknüpft werden. Ohne solche Maßnahmen wird der Markt weiterhin stark auf Luxus und Profit ausgerichtet sein, statt bezahlbares Wohnen sicherzustellen.
Max Müller: Auch die Mietpreisbremse ist ein sinnvolles Instrument, verliert aber durch zahlreiche Ausnahmeregelungen an Wirkung. Ein positiver Ansatz war außerdem der Mietendeckel in Berlin, der jedoch vom Verfassungsgericht gekippt wurde. Berliner Bundestagsabgeordnete haben Initiativen gestartet, um das Gewerbemietrecht im Sinne der Betreiber kleinerer Gewerbe sozialer zu gestalten. Ziel muss ein Gewerbemietrecht sein, das die Mietverträge der Gewerbetreibenden tatsächlich schützt.
UnAuf: Welche konkreten Schritte empfehlt ihr Einzelpersonen, wenn diese akut von steigenden Mieten, Verdrängung oder Investor*inneninteressen betroffen sind?
Philipp Vergin: Grundsätzlich ist es hilfreich, Mitglied bei einem Mieterverein oder einer Mietergemeinschaft zu werden. Wenn erst mal das Problem im Haus ist, wird es schwierig, rechtlichen Beistand zu bekommen. Dann sollte man sich vernetzen, denn man ist mit solchen Problemen in der Stadt eigentlich nie alleine. Man kann prüfen lassen, ob Betriebskostenabrechnungen oder andere Kosten gerechtfertigt sind. Es gibt Mieter*innen-Gewerkschaften, Initiativen und engagierte Anwält*innen, die unterstützen und vernetzen. Wenn eine Hausgemeinschaft betroffen ist, kann es hilfreich sein, durch Kundgebungen oder Social Media auf die Situation aufmerksam zu machen und Politiker*innen oder Journalist*innen zu informieren. Natürlich muss man vorsichtig sein, denn Vermieter oder Eigentümer nutzen so etwas mitunter als Vorwand für eine Kündigung, mit der Begründung, das Mietverhältnis sei zerrüttet. Genau deshalb setzten sich Initiativen wie unsere dafür ein, Solidarität unter Nachbar*innen zu stärken.
Max Müller: Besonders wichtig ist auch, dass junge Menschen aktiv bleiben und sich für gesellschaftliche Belange engagieren – sei es in Antifaschismus, Antirassismus, Antigentrifizierung oder Pro-Flüchtlingshilfe. Auch wenn man nicht immer Erfolg hat, ist der Zusammenschluss viel wert.
Illustration: Felix Lies







