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Deda-Shvili an rame ar aris arasodes bolomde bneli: „Diktatur ist temporär, Kunst ist ewig“ (Lana Gogoberidze)

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Die bereits 96 Jahre alte georgische Filmemacherin Lana Gogoberidze zeichnet im Dokumentarfilm Deda-Shvili an rame ar aris arasodes bolomde bneli (englischer Titel: Mother and Daughter, or the Night is Never Complete) ein empathisches Bild ihrer Mutter Nutsa Gogoberidze. Der Film ist collagenhaft angelegt, was die verwobenen Leben von Lana und Nutsa, über die Geschichte hinweg, zusammenführt.

Nutsa Gogoberidze drehte in den 30er Jahren ebenfalls zwei Filme und wurde die erste weibliche Regisseurin Georgiens. Ihre Werke wurden in der damaligen Sowjetunion sofort zensiert und aufgrund politischer Tätigkeiten ihres Ehemannes wurde sie 1937 inhaftiert und ins Gulag gebracht. Lana Gogoberidze wurde so in ihrer frühen Kindheit von ihrer Mutter getrennt. „Durch die Magie des Films bewege ich mich auf sie zu“, lässt uns Lanas Stimme, die uns während des gesamten Films begleitet, wissen – und an ihrer Suche teilhaben. Die Regisseurin ist für ihre Filme mit starken Frauen in der Hauptrolle bekannt und war selbst stets politisch engagiert, beispielsweise als Präsidentin des Verbandes „Kino Women International“. Sie wird deshalb oft als erste feministische Regisseurin der Sowjetunion beschrieben. In diesem Film macht sie sich selbst und ihre Mutter zu den starken Hauptcharakteren, ohne Furcht davor, eigene Verletzlichkeiten anzusprechen.

Ihre Mutter trifft sie als Erwachsene wieder. Der Moment ist aufgeladen und das Gefühl der Verunsicherung bei gleichzeitiger Erleichterung wirkt kraftvoll und kathartisch. Lana Gogoberidze legt offen, welche autobiographischen Motive aus der Mutter-Tochter-Beziehung ihre vergangenen Werke immer wieder inspiriert haben: Tanz, der an ihre unbeschwerte Kindheit erinnert, Schlüsselszenen des Wiedersehens oder ihre Liebe zu Gedichten. Es entsteht der Eindruck, der Film selbst sei in Gedichtform verfasst: Die Regisseurin erzählt von alten, beinahe traumhaft wirkenden Erinnerungen und ungewöhnlichen Zufällen, die ihre beiden Leben, ihres und das ihrer Mutter, durchziehen.

Die sehr persönliche Geschichte von Lana und Nutsa gibt gleichzeitig Einsicht in den historischen und politischen Kontext der Sowjetunion Mitte des 20. Jahrhunderts. Bemerkenswert ist auch die räumliche Ebene, da neben Georgiens Hauptstadt Tbilissi auch Verbindungen der Familie zu Orten wie Kachi, Paris, Jena, Berlin, Moskau oder weiteren aufgezeigt werden. Die Zeitstränge überlagern sich immer wieder bildlich, und die Montage schlägt Brücken und verknüpft die Werke von Mutter und Tochter miteinander. Das erzeugt bildhaft und poetisch die Kernbotschaft des Films: Das Leben ist eine große Begegnung.

Lana Gogoberidze war, zur Überraschung des Publikums, selbst im Kinosaal anwesend, und berichtete von Ihrer Begeisterung, als sie die verschollenen Werke ihrer Mutter nach deren Tod das erste Mal sah: „Ich habe mich erst nicht getraut, die Filme zu sichten. Was, wenn sie völlig belanglos gewesen wären? Im Endeffekt war ich froh, dass ihr Werk so einen einzigartigen Charakter und so viel Bedeutung hatte“. Den Zuschauenden wird schnell klar, warum gerade sie einen Film über ihre Mutter machen musste. Wie bedeutungsschwer die Wiederentdeckung der Werke ihrer Mutter war, fasst ein Zitat aus dem Film treffend zusammen und verweist somit gleichzeitig ermutigend auf aktuelle politische Geschehnisse: „Diktatur ist temporär, Kunst ist ewig“.

So ist der Film nicht nur eine berührende Erzählung, sondern auch eine bewundernde Hommage an Nutsa Gogoberidze. Da auch Lana Gogoberidzes Tochter, Salomé Alexi, als Regisseurin arbeitet, setzt sich ihre filmische Familiengeschichte in einer einzigartigen Dynastie fort. Auch an diesem Film wirkte Salomé Alexi als Produzentin mit. Nicht zuletzt ist der Film eine Empfehlung an alle, die sich mit dem filmischen Medium, Montagetechniken und politischer Zensur auseinandersetzen wollen.

Gezeigt wurde der Film im Kino Arsenal 1, in der Auswahl des „Forum Special“.


Foto: Lana Gogoberidze @Berlinale Stills