
Was passiert, wenn eine Atomrakete unbekannten Ursprungs auf die USA zusteuert? Kathryn Bigelow erzählt dieses Szenario authentisch inszeniert aus mehreren Perspektiven innerhalb des amerikanischen Militärapparates. Ganze drei Mal werden die 19 Minuten von der Entdeckung bis kurz vor dem Einschlag hochdetailliert durchlaufen. Das hinterlässt ein unsicheres, bedrückendes Gefühl.
Was zuerst für einen harmlosen Raketentest gehalten wird, entpuppt sich schnell als eine atomfähige Interkontinentalrakete. Die Soldat*innen einer Abfangbasis, mit denen der Film beginnt, wirken stark angespannt. Als dann im Situationroom des Weißen Hauses eine Offizierin, gespielt von Rebecca Ferguson, im Mittelpunkt steht, herrscht dort noch eine professionelle, aber entspannte Stimmung. Doch über das erste Drittel des Filmes kippt diese immer weiter. Durch Telefonate, Videokonferenzen oder als separate Szene bekommen wir immer wieder Eindrücke aus anderen Perspektiven, die im späteren Verlauf des Filmes weiter kontextualisiert werden. Der Präsident setzt Sekunden vor dem Aufschlag dazu an, seine Befehle zu geben und plötzlich wird weggeschnitten. Der Film spult wieder zum Anfang zurück, im Hauptquartier der Atomstreitkräfte wird jetzt hauptsächlich ein General verfolgt, der zuvor nur per Video zugeschaltet war. Zuletzt beobachten wir dieselbe Handlung aus der Sicht des Präsidenten, der zuvor ausschließlich zu hören war.
Aber funktioniert denn dieselbe Geschichte dreimal hintereinander? Diese Frage ist durchaus berechtigt, denn der Film enthält dem Publikum zwar einige Details vor, allerdings merkt man deutlich, dass die Handlung bei jeder Wiederholung an Kraft verliert. Die wichtigen plot points müssen schon im ersten Durchgang vorkommen und die weiteren Perspektiven fügen für die Handlung meist nur kleinere Details hinzu. Was sich Bigelow zur Hilfe nimmt, ist ein zweiter, unterbewusster Spannungsbogen.
Der Staatsapparat der Vereinigten Staaten hat natürlich Vorbereitungen für einen potentiellen nuklearen Angriff getroffen, es gibt Notfallprotokolle und der Präsident wird zu Beginn seiner Amtszeit dafür gebrieft. Der Film zeigt uns allerdings zuerst die “einfachen” Fußsoldat*innen, deren Hysterie wir als Publikum leicht hinnehmen. Parallel zur Handlung wandern wir die Befehlskette hoch und werden immer schockierter. Denn niemand scheint wirklich auf den Ernstfall eines nuklearen Angriffs vorbereitet zu sein. Mit jeder neuen Person hoffen wir auf Klarheit und einen Plan, und wieder und wieder lässt uns Bigelow schonungslos auf den harten Boden der Realität zurückfallen. Gewissheit verwandelt sich in Theorie, das Kartenhaus aus sicheren Informationen fällt in sich zusammen. Wie ein Ertrinkender versucht man, irgendwo halt zu finden, irgendwo muss es die eine Antwort geben, die eine einfache Lösung. Ein äußerst effektiver Kniff, der bis zum Schluss Spannung erzeugt.
Von diesem Gefühl lebt der Film, denn rein visuell gibt es nur ein geringes Potential. Die wenigen Aufnahmen an der freien Luft sind definitiv die Highlights, doch die meiste Zeit spielt der Film in unterirdischen Räumen, die wenig Ästhetik bieten. Glücklicherweise funktioniert der Soundtrack dafür gut, auch wenn Volker Bertelmann sich für diesen fast schon peinlich offensichtlich bei seiner eigenen Arbeit an Konklave hat inspirieren lassen. Da der rastlose, von sich stetig auf und abbauenden Streichersoli geprägte, Stil in Konklave allerdings schon großartig funktioniert hat, ist es wenig verwunderlich, dass auch der Soundtrack von A House of Dynamite in Verbindung mit dem Schnitt einen Großteil zur Spannung beiträgt.
Das Gefühl, mit dem man den Film verlässt, ist eines, das sich irgendwo zwischen hoffnungslos und ängstlich wiederfindet. Im Gegensatz zu Kriegsfilmen geht es weniger um die Abgründe der Menschheit, sondern mehr um die Fragilität der globalen Politik, die Ungewissheit, mit der wir jeden Tag leben. So knüpft der Film an die finale Szene aus Nolans Oppenheimer an. Wir könnten wirklich jederzeit eine Kettenreaktion starten, die die ganze Welt vernichten wird und am Ende sind es die Entscheidungen Einzelner, die potentiell über das Schicksal der ganzen Menschheit entscheiden. Noch hoffnungsloser macht einen dann nur noch der Gedanke daran, wer aktuell in den USA eine solche Entscheidung zu treffen hat.
Für einen Kinobesuch wird es leider schon zu spät sein, aber auch im Streaming sollte man dem Film eine Chance geben. Nur anders als bei vielen anderen Netflix-Filmen sollte man sich für A House of Dynamite die Zeit nehmen und wirklich bewusst schauen. Nebenbei noch die Wäsche aufhängen, funktioniert hier nicht.
Foto: Diego González


