Die israelische Regierung hat im Gazastreifen vor drei Wochen eine brutale Bodenoffensive gestartet. Gleichzeitig sind am Institut für Sozialwissenschaften umgedrehte rote Dreiecke aufgetaucht, die auch von der Hamas benutzt werden, um israelische und jüdische Ziele zu markieren. In Washington hat ein mutmaßlicher Terrorist wenige Tage später zwei Mitarbeiter*innen der israelischen Botschaft erschossen. Alles in einer Woche. Ein Ende ist jetzt noch nicht in Sicht.
Der Krieg in Gaza erreicht einen neuen Höhepunkt. Die israelische Regierung lässt seit Monaten bis auf wenige symbolische LKWs keine Hilfslieferungen zur Zivilbevölkerung. Die vor ungefähr drei Wochen gestartete Bodenoffensive Israels lässt menschenrechtliche Bedenken der UN hageln. Man kann vor dem Fernseher nur schlucken, wenn man die wenigen Bilder aus Gaza sieht.
Da ist es nicht verwunderlich, dass es weltweit immer mehr Proteste gibt. So auch in Berlin: Hier hat die Palästina-AG der Studis gegen Rechts und des Sozialistischen Demokratischen Studierendenverbands (SDS) am Donnerstag nach Start der israelischen Bodenoffensive ein Screening der Dokumentation No Other Land veranstaltet. Eine emotionale Reise in das Leben eines palästinensischen Aktivisten im Westjordanland. Dem Publikum wird schnell klar: Palästinensisches Leid ist kein Novum. In einer anschließenden Diskussion bezeugen viele ihre Solidarität mit den Menschen im Westjordanland und Gaza. Die Veranstalter*innen distanzieren sich dabei aktiv von jeglichem Antisemitismus: „Wir betonen ausdrücklich, dass jüdische Menschen nicht mit dem Staat Israel gleichzusetzen sind und nicht für die Handlungen der israelischen Regierung verantwortlich gemacht werden dürfen.“ So steht es im Awareness-Konzept des Abends.
Doch als ein älterer Herr bei der an den Film anschließenden Diskussion zu Wort kommt, gibt es für fragwürdige Aussagen trotzdem Applaus aus den ersten Reihen. Deutschland treffe keine Kollektivschuld, Hitler habe sich mit den hohen Tieren von Porsche getroffen, die Deutschen würden nichts dafür können. Man solle keine Angst haben. Seine Aussagen bleiben diffus, klingen aber nach Relativierung der deutschen Schuld im Nationalsozialismus. Als die 1:30 Minuten abgelaufen sind, die er zum Sprechen hat, wird er von einer Organisatorin unterbrochen. Wäre hier ein distanzierender Kommentar angebracht? Nein, denkt die Organisation der Veranstaltung offenbar. Denn die nächste Person bekommt das Mikrofon und berichtet von ihrer Familie aus Gaza, die ohne Geld nicht vor der israelischen Armee fliehen kann. Sie bittet dabei um Spenden.
Und genau hier zeigt sich das Problem. Die Bilder der israelischen Kriegsführung sind kaum auszuhalten. Dass die UN in ihrem kritischen Ton immer deutlicher wird, ist zwar beruhigend. Aber es braucht mehr als nur einen kritischen Ton. Auch aus Deutschland, wo das Thema immer noch mit Samthandschuhen behandelt wird. Nicht ganz zu Unrecht: Historisch aufgeladen hat Deutschland eine besondere Verantwortung für jüdisches Leben. Kritik am Staat sollte man trotzdem in aller Härte üben dürfen. Denn ob es sich nun um jüdisches oder arabisches Leben handelt. Leid bleibt Leid.
Anfang letzter Woche erschienen an der Fassade des Instituts für Sozialwissenschaften unter anderem ein rotes Dreieck. Man kann nun natürlich darauf verweisen, dass es ja keinen direkten Bezug zur Hamas gebe und hier eine ganz andere Bedeutung hätte als die Markierung von israelischen und jüdischen Zielen. Wer ein solches Zeichen benutzt, muss sich aber im Klaren über die Herkunft des Symbols sein. Und das sind Hamas-Propaganda-Videos.
Auch der anfangs beschriebene Vorfall in Washington ist keine Solidarität mit Gaza. Was bringt es den Menschen in Gaza zwei Mitarbeiter*innen der israelischen Botschaft umzubringen? Dass man den schrecklichen Krieg im nahen Osten als Anlass für Relativierung jüdischen Leids und Antisemitismus nutzt, hilft niemandem.
Warum kommt es dann dazu?
Wie so oft in Zeiten wie diesen heißt die Antwort: Polarisierung. Mit einem gemeinsamen Feind ist es einfacher, eine politische Bewegung anzustoßen. Dabei ist die politische Richtung weniger wichtig.
So nutzt ein Donald Trump die Vorfälle in Washington umgehend dafür, sich gegen Radikalismus auszusprechen. Eine banale Stellungnahme angesichts so mancher Aussagen von Trump, über die man gerne lachen können würde, wenn es nicht so ernst wäre. Die AfD stellt sich in Deutschland auch hinter Israel. Auch dabei geht es nicht um Solidarität mit Jüd*innen, sondern um ein ethnisches Volksverständnis, das arabisches Leben abwertet. Das stellte zuletzt das Gutachten des Verfassungsschutzes fest.
Auf der anderen Seite wird lauthals der Ausschluss von Israel beim Eurovision Song Contest gefordert. Denn Russland dürfe schließlich auch nicht teilnehmen. Abgesehen davon, dass ein Vergleich von Russland und Israel schon bei der Staatsform hinfällig wird: Warum überhaupt der Vergleich? Wieder muss Leid gegeneinander ausgespielt werden. Denn so mobilisiert man die Massen. Wer beim Beispiel des ESCs darunter leidet, ist eine junge Sängerin, die den schrecklichen Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 überlebt hat. Muss das sein? Müssen die Dreiecke am Institut für Sozialwissenschaften sein? Muss der Anschlag in Washington sein? Sieht so Solidarität mit menschlichem Leid aus? Nein.