Gebet ohne Gebetsraum. Fünf Gespräche mit muslimischen Student*innen
An der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) gibt es keinen offiziellen Ort, an dem muslimische Student*innen ihr Gebet verrichten können. Für Melike, Studentin der Agrarwissenschaft, bedeutet das: improvisieren. In einem Treppenhaus des Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum richtet sie sich wie viele andere muslimische Student*innen oftmals einen provisorischen Gebetsplatz ein. Doch auch an diesem Ort stößt sie auf Hindernisse.
In einem Hinweis auf einem Blatt Papier an der Wand heißt es „im Auftrag der HU Bibliothek“, dass textile Gegenstände „aus brandschutztechnischen Gründen“ nach den „Ritualen“ aus dem Treppenhaus des Jacob-und-Willhelm-Grimm-Zentrums entfernt werden müssen. Gemeint sind damit die Gebetsteppiche der Student*innen, die, wie Melike, dort zwischen ihren Lerneinheiten einen Ort zum Beten suchen und ihre Teppiche dort tagsüber lagern. „Im Treppenhaus sieht man immer dieselben Gesichter“, sagt Melike, und man teile sich dort eben den Teppich.
Auch keine Sorglosigkeit im Sozialraum
Das Treppenhaus bleibt ein Ort des Kompromisses. Etwas mehr Privatsphäre biete der Sozialraum in der Dorotheenstraße, so Melike. Gegen Namensangabe und Unterschrift erhält man am Tresen der Zweigbibliothek Germanistik/Skandinavistik einen Schlüssel.
Der Raum, kaum größer als ein Zimmer im Student*innenwohnheim, ist mit einer gepolsterten Bank sowie einem Wickeltisch, Waschbecken und Schrank ausgestattet. Ein Zettel gegenüber der Tür bittet beim Eintreten darum, vorzufindende Teppiche liegen zu lassen und so das Gebet für diejenigen zu ermöglichen, die keinen Gebetsteppich mitgebracht haben.
Eine Studentin klopft an die Tür des Sozialraums. Zwischen ihren Seminaren möchte sie noch schnell ihr Gebet verrichten. Sie erzählt mir, dass „sehr viele Schwestern und Brüder“ diesen Rückzugsort „gemeinsam“ für ihr Gebet nutzen. Ein „Gebetsraum“ wäre der Sozialraum deswegen dennoch nicht. Sie befürchte vor allem, dass ein solcher Begriff dazu führen könne, dass muslimische Student*innen im Sozialraum nicht mehr willkommen sein könnten.
Beim Gebet auf universitärem Gelände bitte die Ohren spitzen
Jaafar, Lehramtsstudent für Geografie und Islamische Religionslehre, pendelt zwischen den Campusstandorten Adlershof und Nord. Oftmals suche er „auf eigene Faust“ Orte für das Gebet. WhatsApp-Gruppen und der Austausch mit anderen muslimischen Student*innen würden ihm helfen, passende Plätze zu finden. In einer Gruppe kursiere sogar ein Video, das den Weg vom Eingang der Universitätsbibliothek zum gängigen Gebetsplatz zeige.
Trotz dieser Unterstützung fühle Jaafar sich beim Gebet oft unwohl, besonders an Standorten ohne ruhige Rückzugsorte. „Kommt da jetzt jemand oder kommt da keiner?“, beschreibt er seine häufige Unsicherheit. Auch die Gebetswaschung bereite ihm Sorgen. Diese müsse er manchmal unterwegs nachholen und dafür öffentliche Toiletten aufsuchen: „Es kann unangenehm sein, wenn jemand in die Toilette reinkommt, während der Fuß im Waschbecken ist.“
Der Umweg über den Fachschaftsraum
Arman, Mitglied des Institutsrats am Berliner Institut für Islamische Theologie (BIT) und Gründungsmitglied der studentischen Fachschaftsinitiative des BIT, erinnert sich: „Die HU war schon immer streng mit dem Gebet auf dem Campus.“ Empathie seitens der Leitung des BIT gäbe es dennoch – zum Studienstart erhielt er eine Liste nahegelegener Moscheen. Vor der Bereitstellung des Fachschaftsraums habe der Raum der Stille am gegenüberliegenden Charité-Campus als gängiger Gebetsort für Studierende des Instituts gedient.
Der Fachschaftsraum ist ein Ort des Austauschs, der Organisation und des Rückzugs. Neben seiner Funktion als Treffpunkt für Student*innen, ist es auch ein Raum, der den praktischen Bedürfnissen der Gemeinschaft gerecht wird: „Es ist ja mehr als ein Gebetsraum, aber es ist auch ein Gebetsraum“, sagt Arman. Gespendete Gebetsteppiche und Wasserabzieher auf den Toiletten gehören ebenso dazu wie Regale mit Materialien für die Fachschaftsarbeit. Der Raum sei nicht nur funktional, sondern auch symbolisch wichtig – ein Zeichen, dass das Bedürfnis nach Raum für Glauben und Gemeinschaft an der HU nicht völlig übersehen werde: „Das wäre echt schade, wenn wir diesen Raum nicht hätten.“
Doch Arman räumt ein, das Gefühl der Unsicherheit wachse unter den Student*innen des BIT – insbesondere was Sicherheitsvorfälle betrifft, wie die Brandstiftung einer Mülltonne im November 2023 vor einem Seminarraum des Instituts oder politische Spannungen in Form von Anfragen wie die der Fraktion AfD im Jahr 2020 zur Evaluation der Förderung für Institute für islamische Theologie an öffentlichen Hochschulen, die dort auch das BIT nennen.
Arman sieht in der Zurückhaltung der HU Gebetsräume bereitzustellen, ein Symptom des säkularen Standorts: „Es scheint hier in Berlin ein Anliegen zu sein, dass man nicht betet.“ Die Eröffnung des BIT wurde einst gefeiert, jetzt spürt Arman jedoch Einschränkungen: „Es wird der Eindruck erweckt, man wolle Muslime, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Sie wollen Muslime, aber das sollen Muslime sein, die ihre Religion nicht praktizieren; die man nicht als Muslime wahrnimmt.“
Die Neutralität der Universität sei wichtig, betont Arman, doch er bezweifelt, dass sie durch die Bereitstellung von Gebetsräumen gefährdet werde. „Studierende selbst sind nicht zur Neutralität verpflichtet“, sagt er. Ob Universität Osnabrück oder Goethe-Universität Frankfurt, viele Universitäten böten Gebetsräume an, ohne ihre Neutralität infrage zu stellen. Dort bedeute Gleichheit im Sinne der Gleichberechtigung auch die Berücksichtigung unterschiedlicher Bedürfnisse.
Zusammen, nicht gegeneinander
Auch Jurastudent Elyesa erkennt das Spannungsverhältnis zwischen Religionsfreiheit und staatlicher Neutralität. Laut ihm sei es möglich, Gebetsräume anzubieten, ohne die Neutralitätspflicht der Universität zu verletzen. „Ob wir einen offiziellen Gebetsraum haben oder nicht, wir beten ja trotzdem an der Universität“, sagt Elyesa. Solche Räume könnten jedoch vieles erleichtern – die Suche nach ruhigen Orten, das Wahrnehmen von Gebeten und das Bekämpfen von Unsicherheiten muslimischer Student*innen.
Als Mitglied der muslimischen Hochschulgruppe der Humboldt-Universität (HUMA) erzählt er mir stolz, dass die HUMA die Gründung anderer muslimischer Hochschulgruppen in Berlin inspiriert habe. Die Gruppen könnten laut Elyesa Missverständnisse abbauen und Offenheit fördern. Er sieht in der Arbeit der HUMA zudem eine Möglichkeit, die HU attraktiver für Muslim*innen und Menschen aus eingewanderten Familien zu gestalten. Davon gäbe es an der HU noch zu wenige.
Elyesa, der in den ersten Semestern seines Studiums für das Gebet die Universität verlassen habe, führe das Gebet nun auch in den Gebäuden der Universität durch. Seitdem ihn Leute dabei entdecken können, habe er viele Gespräche über den Islam geführt. Er erzählt, manch ein*e Kommiliton*in habe ihn sogar gebeten, ihn in eine Moschee zu begleiten. Er glaubt, eine engere Zusammenarbeit zwischen der Universität und den Student*innen der HUMA könne einen positiven Wandel bewirken: „Es bringt nicht nur etwas für den Islam, sondern auch etwas für den Zusammenhalt in der Gesellschaft.“ Gespräche über das Gebet sind dabei „eine schöne Gelegenheit, ein Bild vom Islam zu zeigen, das nicht von Ressentiments geprägt ist.“
Foto: Emely Stache