Im Sommer 2023 drohte dem Missy Magazine das endgültige Aus. Der darauffolgende Überlebenskampf setzt ein Zeichen für Perspektivenpluralität und gesamtgesellschaftliche Verantwortung.
2008 haben vier Studentinnen der Kulturwissenschaft das Missy Magazine gegründet, um explizit weibliche Perspektiven in die Kulturbranche zu bringen. Heute ist Missy ein Leuchtfeuer für politischen, queerfeministischen Journalismus in der deutschen Medienlandschaft. Chefredakteurin Marie Serah Ebcinoglu spricht mit der UnAufgefordert über das Gegenhalten gegen die Neue Rechte, prekäre Strukturen und persönlichen Antrieb.
UnAuf: Wie hat sich das Missy Magazine im Vergleich zur Gründung vor 15 Jahren verändert?
Marie Serah Ebcinoglu: Das Missy Magazine hat sich mit der feministischen Bewegung der letzten Jahre stark gewandelt. Zu Beginn ging es explizit um mehr Sichtbarkeit für Frauen in der Kulturbranche. Missy wurde vor 15 Jahren gegründet, noch vor der #MeToo Bewegung, durch die Feminismus im Mainstream angekommen ist. Auch Missys Feminismus hat sich mit den Jahren gewandelt, ist queerfeministisch geworden und widmet sich aus insersektionaler Perspektive verschiedenen Formen von Marginalisierung, weltpolitischem Geschehen und Kultur. Das ist ein großer Unterschied zwischen einem binären Feminismus, der an die zweite Welle anschließt und dem intersektionalen Feminismus für den Missy heute steht. Wir sind ein Nischenmagazin, aber dafür dann trotzdem größer als ich es selbst oft wahrnehme. Wir sind relativ einzigartig in unserer Positionierung, deswegen habe ich damals überhaupt erst begonnen Missy zu lesen. In meinem Bachelor habe ich dann als Praktikantin angefangen und bin heute eine von zwei Chefredakteurinnen.
UnAuf: Feminismus ist für euch kein Trend- oder Nischenthema, sondern eine Haltung. Das bedeutet auch: Ihr entscheidet euch bewusst gegen Werbung von Unternehmen, die nicht zumindest grundlegend mit euren Werten übereinstimmen. Wie schafft ihr es, unabhängig zu bleiben?
MSE: Das stimmt und das macht unsere Arbeit sehr prekär. Wir schalten allerdings Werbung von Kulturinstitutionen, wie beispielsweise dem HAU, aber Abonnements sind unsere Haupteinnahmequelle. Die großen Tageszeitungen haben zwar alle zu kämpfen, sind aber Teil großer Verlage und können sich so durch Anzeigenmagazine finanzieren.
Das gibt es bei uns nicht, deswegen machen wir so viel Eigenwerbung für unsere Abos. Wir versuchen transparent zu kommunizieren: Wenn es euch wichtig ist, dass es den unabhängigen feministischen Journalismus von Missy als Antipol zum rechten Aufschwung in unserem Land gibt, dann müsst ihr dafür Geld ausgeben. Das ist leider so.
UnAuf: Selbst wenn eure Arbeit vorher schon prekär war, kam Anfang 2023 der Schock: Missy steckte in einer existenziellen Krise. Was ist passiert?
MSE: Wir hatten alle Jahre davor ein stetiges Wachstum. Im Sommer 2023 hat die Geschäftsführung dann festgestellt: Wenn wir nicht sofort den Schalter umlegen, können wir noch ein Magazin produzieren und dann war es das hier.
Im Zuge der Inflation sind die Preise für den Druck und die Verteilung von Missy innerhalb von einem Jahr um mehr als 100 Prozent gestiegen. Die Inflation hat sich auch bei unseren Abonnentinnen bemerkbar gemacht. Im ersten Quartal haben wir viel mehr Kündigungen bekommen als sonst – der Grund war fast immer: Ich kann es mir einfach nicht mehr leisten.
Dabei versuchen wir schon eine soziale Preispolitik zu machen. Ein Jahresabo kostet 40 Euro, das ist dafür, dass wir sechs Magazine im Jahr herausgeben, wenig. Obwohl ich es mir anders wünschen würde, sind die meisten Menschen, die sich von unseren intersektionalen Themen angesprochen fühlen, diejenigen, die selbst von Sexismus oder Rassismus betroffen sind. Genau diejenigen stehen mit Blick auf strukturelle Lohnverteilung in der Regel weiter unten. Wir wollen unseren Leser*innen auch weiterhin ermöglichen, ein Produkt wie Missy kaufen zu können.
UnAuf: Kurz nach eurer transparenten Ankündigung habt ihr eine Welle der Solidarität erlebt. Euer Ziel von 1500 neuen Abos in zehn Wochen habt ihr nach nur zwei Tagen erreicht. Wie erklärst du dir das?
MSE: Das kann ich natürlich nur intuitiv beantworten. Ich glaube es gibt prinzipiell viele Menschen, denen es ein Anliegen ist, dass wir in einer pluralen, nicht-rechten Gesellschaft leben, in der es barriereärmer und diskriminierungsfreier zugeht.
Uns haben so viele Menschen erreicht, die gesagt haben: Ich will nicht auf so eine Stimme in der journalistischen Landschaft Deutschlands verzichten, ihr dürft nicht verschwinden. Das hat mir persönlich nochmal gezeigt, wofür ich das mache. Wir haben sofort gehandelt und unsere riesige „Rettet Missy!“-Kampagne ist auf so viel tolle Resonanz gestoßen.
Für mich stellt sich aber eine größere Frage. Wenn das so ist, warum macht sich das erst in Momenten der absoluten Krise bemerkbar, als wir gesagt haben: Passt auf, wir machen dicht, wenn ihr uns jetzt nicht unterstützt. Was daran anschließt, ist die Frage, wieso viele Menschen, die Missys politische Einstellung teilen, noch so träge sind. Gefühlt sind alle Menschen politisierter als sie es noch vor ein paar Jahren waren. Gleichzeitig sind die rechten Kräfte in unserem Land so stark wie seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr. Es gilt jetzt an die vielen tollen und großen Proteste gegen die AfD und die rechte Politik in unserem Land anzuschließen und unsere Regierung in die Verantwortung zu nehmen: Sie muss dafür sorgen, dass “nie wieder” auch tatsächlich nie wieder bedeutet. Da müssen wir alle jetzt Druck machen.
UnAuf: Auf der anderen Seite gibt es Verlage wie beispielsweise den des rechtsextremen Götz Kubitschek…
MSE:… die haben so viel Geld!
UnAuf: … und dadurch enorme Reichweite. Was braucht es, um politischen, feministischen Journalismus zu stärken?
MSE: Also am besten wären natürlich anonyme Spenden in Millionenhöhe (lacht). Die sind in rechten Strukturen tatsächlich vorhanden.
Ansonsten kann man gar nicht viel mehr machen als das, was wir bereits tun. Für alle Medien, egal ob feministisch oder konservativ, bleibt die Frage wie wir unsere Inhalte an die nächste zahlende Generation vermitteln. Sie sind daran gewöhnt, Nachrichten in einem Format zu konsumieren, das sich ihnen innerhalb von Sekunden erschließt. Wenn man ihre Aufmerksamkeit nicht halten kann, verliert man sie schnell wieder.
Aber die politischen Themen, die uns beschäftigen, sind zu komplex, um sie auf drei Slides herunterzubrechen, dem werden wir uns nicht hingeben. Ich wünsche mir, dass wir die jüngere Generation motivieren, sich wieder zusammenzuschließen und sich mit Ruhe, Zeit und in der Tiefe mit Themen auseinanderzusetzen.
UnAuf: Wie können wir feministische Strukturen innerhalb eines Mediums ausbauen?
MSE: Ein erster Schritt ist es, sich hinzusetzen und zu überlegen, was wir uns von unserer Arbeitgeberin wünschen. Was wäre eine Struktur, in die wir morgens gerne zur Arbeit kommen würden und wie können wir das realisieren?
Bei Missy beispielsweise sind die Strukturen und Hierarchien so flach wie möglich. Das bedeutet, wir alle bekommen einen Einheitslohn, unabhängig von unserer Position und Praxiserfahrung. Das ist natürlich auch nicht vollkommen gerecht, weil jede*r unterschiedliche Verpflichtungen und Voraussetzungen mitbringt. Dennoch ist faire Bezahlung eine feministische Praxis. Immer wenn wir ein bisschen gewachsen sind, haben wir die zusätzlichen Einnahmen gerecht umverteilt. Dabei versuchen wir auch immer, die Löhne für Freie anzuheben. Außerdem arbeitet jede*r von uns in Teilzeit und macht etwas anderes nebenbei, wie ich zum Beispiel mein Masterstudium an der HU.
Es ist nicht möglich, hundert Prozent divers und fair zu sein. Dennoch ist es wichtig, wer in der Redaktion sitzt. Man kann immer mehr Perspektiven abbilden, wenn sie im Team vertreten sind. Wer sich schlussendlich bewirbt, liegt an den Ausbildungsstrukturen, denn die begünstigen nach wie vor weiße, able-bodied Personen.
Um feministische Strukturen aufzubauen und diversere Geschichten zu erzählen, würde ich generell sagen: Traut euch einfach.
Das Gespräch führte Felicitas Hock.
Foto: Marie Serah Ebcinoglu