Die Kunstinstallation Winner im Hamburger Bahnhof stellt Brutalität und die Bildsprache des Fußballs in den Vordergrund. Schöpferin Marianna Simnett kombiniert Latex, Currywurst und Kunstblut in einem gewalttätigen Exzess.

Stadion, Gegröle, Trikots, weinende Männer (auf den Tribünen und auf dem Spielfeld), vielleicht auch Bengalos und Bratwürste: Das sind die Dinge, die man normalerweise mit Fußball assoziiert. An Kultur im engeren Sinne denkt man erstmal nicht. Das werden sich möglicherweise auch die Initiatoren der Stiftung Fußball und Kultur EURO 2024 gedacht haben, die laut Website die Werte des Fußballs auch in Kunst und Kultur sichtbar machen wollen. Die Gesellschaft ist eine Tochter der DFB-Kulturstiftung und wird vom Bund finanziert. Zur Europameisterschaft der Herren wurden 60 Projekte und über 300 Events in ganz Deutschland organisiert, eines der größten davon ist Winner, im Hamburger Bahnhof.

Die britische Künstlerin Marianna Simnett lebt und arbeitet in Berlin. Ihre Arbeiten sind interdisziplinär, oft große Installationen, mit denen sie Themen wie Selbstbestimmung, Gewalt, Medizin und Gender aushandelt. Mit Fußball, erzählt sie, habe sie eigentlich wenig am Hut. Sie bezeichnet sich selbst als „Art Kid“, deren Interessen mit dem Geist der britischen Fußballkultur deutlich kontrastieren. Als sie eingeladen wurde, Winner für den Hamburger Bahnhof zu schaffen, habe sie sich erstmals intensiv mit Fußball auseinandergesetzt: Sie besuchte Fußballspiele, sprach mit Fans – sogar an einem Kurs einer Schiedsrichterinnenakademie nahm sie teil. 

Gewaltexzess im Kartenhaus

Simnetts Installation befindet sich in einem abgedunkelten Ausstellungsraum: Das dumpfe Pochen der Soundkulisse und das fleischige Rosa von Teppich und Wänden umschließen die Besucher*innen. Der immersive Effekt wird durch die großen, im ganzen Raum verteilten LED-Leinwände verstärkt, auf denen die Installation läuft. Dazwischen stehen Siegertreppchen, auf denen man Platz nehmen kann, und zwei nachgebaute Imbisswagen. 

Marianna Simnett erzählt die Geschichte eines Fußballteams, dargestellt von einer Gruppe von Tänzer*innen. In bedrohlichen Gebaren geraten sie immer wieder aneinander, bevor sie aufbrechen, um das Haus der Schiedsrichterin, das auf einem Fußballplatz aus roten und gelben Karten gebaut ist, zu zerstören. Zeitlupe, Nahaufnahme, Rewind – alle gängigen Mittel der Fußballdarstellung, die wir aus dem Fernsehen gewohnt sind, werden genutzt, um das spritzende Blut und die fliegenden Rasenfetzen, aber auch die stummen Schreie der Spieler*innen einzufangen.

Die Geschichte wird immer wieder unterbrochen. Dann öffnen sich die Rollos der Imbisswagen und eine Darstellerin bereitet im kalten Neonlicht Bratwurst oder Pommes vor. Die Kulisse ist schäbig und die Darstellung des Essens nicht gerade appetitlich, die Imbissdame singt dazu ein Lied. Aber die Szene ist melancholisch, stellt die Rituale und Randpraktiken dar, die im Fußball eine wichtige Rolle einnehmen. Sie ist einer der berührendsten Momente der Performance, am Ende rasselt aber auch hier auf der LED-Leinwand die Jalousie runter. Die Halbzeit ist um, der Anflug von Nostalgie und Verbundenheit verfliegt, der Gewaltexzess beginnt wieder.

Zwischen Fanmeile und Museum

Simnett beschreibt im Gespräch die Wärme und das Gemeinschaftsgefühl, das sie erlebt habe, als sie aus Recherchezwecken Regionalliga-Spiele besucht hat. Diese Wärme, den positiven Geist einer Community, sucht man bei Winner vergeblich. Das Ziel der Stiftung Fußball und Kultur ist, die beiden Bereiche zusammenzubringen. Stiftungspräsident Bernhard Gutowski hebt immer wieder den Wunsch hervor, dass auch „normale“ Fans die Ausstellung besuchen und „ihren“ Fußball wiederfinden. Sie werden auf jeden Fall Aspekte davon finden können. Aber ob sie ihren Fußball in der überbunten, getanzten Welt von Winner noch erkennen können, ist fraglich.

Die ästhetische, aber dennoch ungeschönte Darstellung der Gewalt und Brutalität des Fußballs ist vielleicht die größte Schwäche und die größte Stärke des Kunstwerks. Enthemmung, Korpsgeist und Exzesse der “Männlichkeit” sind Aspekte des Fußballs, die viele erkennen werden. Gerade die, die sich vielleicht wie Simnett selbst als Art Kids bezeichnen, die gute Gründe haben, warum sie immer eine Distanz zur Welt des Fußballs hatten, werden ihre Vorbehalte und Ängste gespiegelt sehen. Bei diesem Publikum wird Simnetts Kunst Resonanz finden.

Winner wirft wichtige Fragen über Gender, Gewalt und Inszenierung im Fußball auf. Ihre Darstellungen üben berechtigte Kritik an der Fußballkultur. Einerseits werden Ausschlussprozesse angesprochen, andererseits ist das Kunstwerk eine dezidiert alternative, queere Perspektive auf den Fußball. Fußball soll, so die Stiftung Fußball und Kultur EURO 2024, verbinden. Inwiefern Winner aber eine  Brücke zwischen Fanmeile und  Museum bauen kann, bleibt ungewiss.


Foto: © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Jacopo La Forgia. Courtesy Marianna Simnett and Société, Berlin