„Denn in der Wissenschaft und im eigenen Denken ungewöhnlich zu sein, heißt nicht langweilig zu sein. Das finde ich großartig.“

Feminismus. Das ist ein Sammelbegriff für soziale Bewegungen, die gegen die Diskriminierung von Frauen* in der Gesellschaft kämpfen. Ein Kampf gegen Sexualisierung und das Patriarchat, ein Kampf für Gleichstellung und die Menschenrechte aller. Anlässlich des am 8. März stattfindenden Internationalen Frauen*tages, ein feministischer Kampftag, haben wir mit drei Frauen gesprochen, die sich unterschiedlich für ein Ende anhaltender Diskriminierungen gegen Frauen* einsetzen. ‚Unladylike‘ erheben sie ihre Stimme und definieren geschlechterstereotypische Vorstellungen vom ‚Ladylike-Sein‘ um.

“Wenn feministisch bedeutet, emanzipatorisch dafür zu sorgen, dass die großen Versprechen der Verfassung, also Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit, tatsächlich für alle gelten, ohne sexistische Vorurteile und Benachteiligungen, dann würde ich sagen – und deswegen habe ich das Grundgesetz zitiert – ist die deutsche Rechtsordnung darauf verpflichtet.” Diese Haltung zu der Frage, ob das deutsche Recht feministisch sein müsse, lässt die ehemalige Bundesverfassungsrichterin und Professorin Dr. Susanne Baer in ihre Arbeit einfließen. Ihr Studium absolvierte sie in Berlin und Michigan und unterrichtete feministische Rechtstheorie sowie Antidiskriminierungsrecht. Baer bezeichnet sich selbst als Feministin, die sich für das Jura-Studium entschied, weil sie nicht nur tatenlos zuschauen, sondern die Welt mithilfe eines mächtigen Instruments verändern wollte. Ein Blick auf ihren Lebenslauf bestätigt diesen Willen Mitzugestalten: Der verbucht eine rechtsvergleichende Promotion über den Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und eine Habilitation über den Bürger im Verwaltungsrecht. Daran reihen sich mehrere Ehrenwürden, vielfältiges Engagement und nicht zuletzt eine Position als Bundesverfassungsrichterin

Deutschlandweit ist Baer die einzige Professorin, die einen Lehrstuhl für Recht und Gender Studies innehat. Darauf blickt sie mit Bedauern. Denn es zeuge davon, dass der elementare und überall auf die Gesellschaft einwirkende Faktor ‘Gender’, leider oft als irrelevante Nebensache abgetan werde. „Und insofern gehört für mich Gender immer dazu. Als intersektionale oder mehrdimensionale Frage nach Ungleichheiten, die beim Geschlecht beginnen, aber nicht beim Geschlecht enden, sondern uns alle in irgendeiner Form betreffen.”

Baers Interesse für feministische wie auch für postkoloniale Rechtswissenschaft, für Queer Legal Theory und Critical Race Theory stellen ihre weiteren Arbeitsschwerpunkte oftmals in den Schatten. Das sei ein Problem. „Manchmal wird man dann so kleingeschnitten auf ‚Ach, das ist diese Gendertante’. Oder es gibt ein „naja, sie ist ja auch homosexuell‘ – das wird dann nur nicht öffentlich ausgesprochen.“ Susanne Baer selbst ist mit einer Frau verheiratet und hat, wie sie es sagt, „über die Liebe nie gelogen“. Insbesondere in den Anfängen ihrer Amtszeit als Bundesverfassungsrichterin, hallte Susanne Baer ein Presseecho nach, das ihr sogenanntes Anderssein hervorhob. Die ‘Financial Times Deutschland’ verlieh ihr beispielsweise den Titel „Prof. Dr. Ungewöhnlich“. Diese Namenstaufe findet Susanne Baer aber grundsätzlich nicht so schlecht. „Denn in der Wissenschaft und im eigenen Denken ungewöhnlich zu sein, heißt nicht langweilig zu sein. Das finde ich großartig.“ 

Bis Februar letzten Jahres sprach sie als eine von bisher 15 Frauen jemals das Recht am Bundesverfassungsgericht. Dort sei sie von Vorurteilen verschont geblieben. „Aber das heißt natürlich nicht, dass ich nicht in der Welt bin und in dieser Welt eben auch Vorurteile eine Rolle spielen. Und Vorurteile gegen lesbische Frauen sind noch etwas spezifischer als Vorurteile gegen schwule Männer. Denn da kommt Sexismus mit Homophobie zusammen.“ Susanne Baer wollte Vorurteilen wie diesen entgegentreten. Denn freundlich behandelt zu werden, hätten alle von Vorurteilen und Diskriminierung Betroffenen verdient. Egal, ob Bundesverfassungsrichterin Ja oder Nein. „Ich hatte den Eindruck, wenn jemand wie ich in so einem hohen Amt mit der Unabhängigkeit als Richterin und auch mit der Unabhängigkeit als Professorin nicht den Mut hat, das dann ab und zu auch zum Thema zu machen, wer denn dann sonst? Also habe ich es ein wenig als meine Aufgabe gesehen, den Vorurteilen etwas entgegenzusetzen.“ 

Susanne Baer aka die selbsternannte Kombination aus Justitia und ‘Robinia Hood’ – „Es war spontan. ‚Robinia Hood‘ ist letztlich eine geschlechterübergreifende Figur, die sich für die Armen und Entrechteten einsetzt. Das gefiel mir gut!“ Insofern ist Baers  ‘unladylike’ Heldinnengeschichte, vermutlich gar nicht mal so ungewöhnlich. So lautet jedenfalls ihr Fazit: „Ich habe viele Dinge gemacht habe, die vielleicht herausragend sind, aber nicht so ungewöhnlich.” In ihre 12-jährige Amtszeit fielen beispielsweise das Urteil zur Verfassungswidrigkeit eines pauschalen Kopftuchverbotes an öffentlichen Schulen, das in Widerspruch zum Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit stehe. Ebenso bot ihr Senat den Kürzungen der Asylleistungen im Herbst 2022 Einhalt. Erreicht hat Baer das ohne Schwert und Binde vor den Augen, aber dafür mit Waage, Brille und Büchern. 

Diese Werkzeuge wird sie auch weiterhin brauchen: Nach wie vor seien neben der Lohnungleichheit zwischen männlich und weiblich Beschäftigten, vor allem klassische Themen, wie häusliche Gewalt, Pornografie und Prostitution, erschreckenderweise überhaupt nicht bewältigt worden. Mit den Regulierungen zur Prostitution ist Deutschland ein Handelsland für Mädchen und Frauen geworden und ein Ausbeutungsland gerade für Menschen aus dem globalen Süden oder Osten. Das ist hochproblematisch und diese Gewalttätigkeit sollten wir nicht dulden.” Für Baer zeige das, dass in der deutschen Rechtsprechung schärfer gehandelt werden müsse. “Es geht uns explizit juristisch schon relativ gut. Aber implizit sind nach wie vor Strukturen im Recht, die patriarchalisch, heteronormativ, oder anderweitig problematisch ausschließend sind und sich auf das Geschlecht eben nicht in produktiv-emanzipatorischer Weise beziehen, sondern in negativ-diskriminierender Weise.“ 

Das zu ändern gelinge nie allein. Anders als in klassischen Solo Held*innengeschichten, weiß Susanne Baer um die Bedeutung von Begegnung und Vernetzung. Die Arbeit müsse auf mehreren Schultern verteilt sein. Das bilde das Fundament einer geschlechtergerechten Gesellschaft.

 


Foto: Privat