Das 31. gewählte Studierendenparlament debattierte in seiner zweiten Sitzung dieser Wahlperiode am 21.11. ausfallend explizit über den Nahostkonflikt, solidarisierte sich mit Streikenden und leistete weihnachtliche Erinnerungsarbeit.
Wo der diskursive Raum in der letzten Sitzung fehlte, wurde er diesmal in emotionalisierte Weiten ausgedehnt: Als Thekla von der Juso-Hochschulgruppe den Antrag ihrer Fraktion vorstellte, heizte sich die Stimmung im Parlament langsam auf. Der Antrag betont die historische Verantwortung der Studierenden und Universitäten sich gegen jegliche Form des Antisemitismus auszusprechen, besonders wenn dieser in Form von Israelkritik auftrete. Anlass des Antrags dazu war ein Dokument, welches Hochschulen vorwirft, die akademische Diskursfreiheit in Bezug auf Menschenrechte und internationales Recht durch Solidarisierung mit Israel einzuschränken. Als Reaktion fordert die Juso-Hochschulgruppe die HU auf, jüdische und israelische Studierenden gezielt vor antisemitischen Übergriffen zu schützen.
In ihrer Rede verurteilte Thekla explizit antiisraelische Demonstrationen an der Uni und machte allein die Terrororganisation Hamas für die aktuelle Situation, unter deren Kontrolle weder Israel noch Palästina existieren könne, verantwortlich. Sie betonte, dass Antisemitismus kein importiertes Problem sei und solidarisierte sich auch mit palästinensischen Studierenden.
Aus dem Parlament ertönten wiederholt Hustgeräusche und entnervtes Aufstöhnen, auch nachdem das Präsidium dazu aufforderte, diese Störungen zu unterlassen.
Schreiende Störenfriede
Als direkte Antwort auf den Juso-Antrag sprach sich ein Mitglied der Linken Liste für den von ihnen eingereichten Änderungsantrag aus. Menschenleben sollten nicht gegeneinander aufgespielt werden, zwar müsse das Verbrechen der Hamas schwerer verurteilt werden, dennoch müsse dieselbe Verurteilung auch gegenüber der israelischen Armee möglich sein. Er forderte, den Fokus auf den Handlungsradius der Hochschulpolitik zu legen, anstatt auf den gesamten Nahostkonflikt. Streit innerhalb des StuPa verhindere die Bereitstellung bestmöglicher Hilfsangebote für alle Studierenden.
Gastredner Noam Petri von der jüdischen Studierendenunion (JSUD) eröffnete mit seiner Rede die Debatte im Plenarsaal. Er zitierte aus der Gründungscharta der Hamas, um seine Fassungslosigkeit über Unterstützung der Terrororganisation in Teilen Deutschlands auszudrücken. Er verurteilte den unzureichenden Aufschrei diesbezüglich, wobei er explizit die politische Linke adressierte. Seine Rede führte zu einer Mischung aus Standing Ovation und wiederholten Zwischenrufen, ob ihm egal sei, dass täglich palästinensische Kinder sterben. Die lautstarke Person wurde verwarnt, wie sich später herausstellte, war sie noch Schülerin und kein Teil des StuPa.
Gregor von der IYSSE warf weitere Vorwürfe in den Raum. Er sprach von einem grundlegend einseitigen Framing der Debatte und erklärte, der „verlogene“ Juso-Antrag stelle sich hinter die „mörderische Politik und Kriegspropaganda“. Dadurch unterstütze er die „rechte Politik der HU“.
Ein Mitglied der liberalen Hochschulgruppe nahm indirekt Bezug auf Gregors Worte, als er persönlichere Töne fand, indem er das StuPa an der Geschichte seiner Großmutter teilhaben ließ. Sie erzähle ihm von ihrer eigenen Tatenlosigkeit zu Zeiten des Nationalsozialismus und würde weinen, könnte sie die heutigen Redebeiträge hören. Er appellierte an die deutsche historische Verantwortung, jüdisches Leben zu schützen.
Die Debatte wurde für weitere Redebeiträge geöffnet – über 15 gab es insgesamt, wobei kaum jemand die demokratisch festgelegte Redezeitbegrenzung von zwei Minuten berücksichtigte. Zudem stellte das Präsidium bereits zu Beginn der Sitzung klar, dass nur eingeschriebene Studierende berechtigt seien, sich zum Thema zu äußern. Aus diesem Grund wurde der nächste Redner Georg Liere, ein Almuni der HU, aufgefordert, das Rednerpult zu verlassen. Als er trotz abgeschalteten Mikrofons weiterbrüllte, wurde eine dreißigminütige Pause veranlasst. Das Präsidium erteilte dem Redner Hausverbot und rief zur Sicherheit den Wachschutz um die Sitzung zu begleiten.
Im weiteren Verlauf der Debatte wurde daran appelliert, jüdische Menschen nicht mit dem Staat Israel gleichzusetzen. Vermehrt fiel der Vorwurf palästinasolidarische, israelkritische Stimmen zu unterdrücken und die Bezeichung Israels als rassistischen Apartheid-Staat.
Die geheime Abstimmung über den Änderungsantrag der LiLi beendete schließlich die Diskussion. Er wurde angenommen und ersetzte somit den ursprünglichen Antrag der Juso-HSG.
Vereinte Solidarität
Nach der ausufernden Diskussion, deren Ton und Inhalt sowohl vom Präsidium als auch von etlichen Redner*innen als unangebracht kritisiert wurde, ging das StuPa zur geplanten Tagesordnung über: Dem Antrag auf Solidarisierung mit dem Streik der Berliner Hochschulen. Luca (OLKS) bezeichnete die aktuellen Strukturen für Mitarbeitende der Uni als „gatekeeping at its best“. Einen Job als studentische Aushilfskräfte müsse man sich leisten können. Die Arbeitsbedingungen seien prekär und der Einstieg in die Wissenschaftlich somit privilegierten Studierenden vorbehalten. Es brauche vereinte Kräfte aller Beschäftigten an der Uni, anstatt verschiedene Gruppen gegeneinander auszuspielen, da auf schlechte Löhne unmittelbar auch schlechte Lehre folge. Luca erhielt großes Lob aus dem StuPa und der Antrag wurde angenommen.
Ebenso große Unterstützung erfuhr der Antrag der AKJ, sich als gesamtes Parlament gegen den Weihnachtsmarkt „Weihnachtszauber“ auf dem Bebelplatz auszusprechen. Dieser verhindere das angemessene Gedenken an die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten am 10. Mai 1933, da das Denkmal zwischen Glühwein- und Imbissständen nicht dauerhaft kostenlos zugänglich sei. Wie bereits im letzten Jahr fordert die AKJ die Verlegung des Weihnachtsmarktes, um gerade in den heutigen Zeiten Erinnerungsarbeit leisten zu können.
Selbst wenn die meisten Referate unbesetzt blieben, wurden doch zwei neu gewählt: zwei Jurastudentinnen besetzen ab sofort das Referat für politisches Mandat und Datenschutz und das Referat für Publikation wurde um eine Co-Referentin erweitert. Weitere positive Nachrichten verkündete das Referat für Ökologie: Ab Juli 2024 werde es für Studierende ein vergünstigtes Deutschlandticket für 29 Euro geben. Wie die entstehende Semesterticketpause in den Monaten März bis Juni überbrückt werden soll, blieb bisher offen.
Foto: Heike Zappe