Willkommen in „Wokistan“, im Land des „Gender-Gaga“ und der „Minderheitendiktatur“, hier konkurrieren wir „Gutmenschen“ darum, wer die meisten Ungerechtigkeiten ertragen muss, um den Titel des größten Opfers des Systems zu ergattern.

So oder so ähnlich ziehen ideologisch-rechte Kräfte bewaffnet mit politischen Kampfbegriffen in ein narratives Gefecht gegen die Wokeness-Bewegung.
Dabei hatte die doch so friedlich begonnen: Vom Englischen ging das Wort in den deutschen Sprachgebrauch über, grammatikalische Regeln wurden beiseite geschoben und aus dem Satz „I woke up“ blieb lediglich das eingedeutschte Adjektiv „woke“ übrig. Einst stand es für nichts weiter als die Wachsamkeit gegenüber gesellschaftlicher Diskriminierung und Ungleichheit, wie es seit 2017 offiziell im Oxford Dictionary geschrieben steht.

Für die Schwarze Künstlerin Erykah Badu beschreibt „woke” weitaus mehr als das. Mit dem Satz ‘I stay woke’ bekräftigt ein Chor sich in ihrem Song „Master Teacher” selbst in einer politischen Haltung der Selbstermächtigung. „Woke” sein bedeute für Badu im Einklang mit sich, seinen Mitmenschen und der Natur zu leben – aufmerksam durch die Welt zu gehen kommt laut der Sängerin dann von allein. Auch der Musiker Childish Gambino ruft in seinem weltbekannten Lied „Redbone” dazu auf, „woke“ zu bleiben. Erst durch Schwarze Künstler*innen, die den Begriff weiter trugen, kam er endgültig im Mainstream an.

Die Ursprünge des Wortes wurzeln jedoch viel tiefer: In den USA der 1930er Jahre. Schwarze Communities in den Vereinigten Staaten wehrten sich verbal gegen die anhaltende Ignoranz gegenüber rassistischer Unterdrückung und forderten deren Anerkennung – die weiße Mehrheitsgesellschaft sollte endlich zum Aufwachen aus dem Tiefschlaf einer diskriminierungsblinden Gesellschaft bewegt werden.
Als der Schwarze US-Amerikaner William Melvin Kelly den Begriff dann im Jahr 1962 in seinem Artikel als Beispiel für die Aneignung Schwarzer Sprachkultur seitens weißer Amerikaner*innen anführte, wurde „woke“ ein zunehmend geläufiger Ausdruck.

Nicht zuletzt die afroamerikanische Bürger*innenrechtsbewegung #BlackLivesMatter holte ihn aus den Nischen der Subkulturen. Nach der Ermordung des Jugendlichen Trayvon Martin im Jahre 2012 waberte der Hashtag #woke durch die Sozialen Medien, um gegen anhaltende Polizeigewalt in den USA zu mobilisieren. Aus dem Online-Phänomen, das fast ausschließlich von Afroamerikaner*innen getragen wurde, entwickelte sich zwei Jahre später eine nationale Protestbewegung auf den Straßen: Der Tod des 18-jährigen Michael Brown durch einen weißen Polizisten rüttelte auf brutale Weise eine breitere Masse auf. Ihr Protest formierte sich im Frühjahr 2020 auch hier in Deutschland – nachdem der Schwarze Amerikaner George Floyd durch die Hand eines weißen Polizisten starb.

Aus afroamerikanischen Communities raus in den mehrheitlich weißen Mainstream ist „woke” ein Selbstläufer geworden, hinter dem eine vielschichtige Bewegung steht, die längst nicht mehr in wenigen Worten definiert werden kann. Ihre Aufmerksamkeit gilt nicht mehr nur rassistischen und sozialen Ungleichheiten. Debatten um sexualisierte Gewalt wie #MeToo, Sensibilisierung für gendergerechte Sprache, sogar Klimaschutz und Ernährung spielen mittlerweile eine essenzielle Rolle in der Wokeness-Bewegung. Rechte und konservative Politiker*innen instrumentalisieren diese thematische Ausdifferenzierung lautstark, um progressive linke Kräfte kleinzureden. Der Vorwurf lautet: „Woke” Menschen würden sich moralische Überlegenheit anmaßen und politisch Andersdenkende als rückständig in ihren Meinungen deklarieren. Sie würden Probleme anprangern, die eigentlich keine sind und dadurch gesellschaftliche Spaltung fördern. Diese Entrüstung übertönt heute längst die inklusive Grundhaltung für die „woke” einst stand.

Selbst einige linke politische Kräfte wenden sich heute mit erhobenen Händen von dem Begriff ab, der Kampf, ihn zurückzuerobern, scheint zu kräftezehrend. Doch selbst wenn „woke” zu einem zerschlissenen Wort verkommen ist: Hellwach durch die Welt zu laufen, um Ungleichheiten auszuleuchten, ist gerade deshalb wichtiger denn je.


Illustration: Valentina Corredor