Das Herz läuft heiß, wenn es draußen kalt wird. Wir knutschen, halten Händchen, schauen uns tief in die Augen. Zusammen sind wir aber nicht. Das Phänomen „Situationship“ ist längst kein Neues mehr.
„Cuffing Season“, so nennt man die Wintermonate aus einer Dating-Perspektive. Plötzlich ist jeder „halb“ vergeben. „Bumble“, „Tinder“ und Co. laufen heiß – Hauptsache nicht allein sein. Jemanden haben, mit dem man auf dem Weihnachtsmarkt die heiße Schokolade teilt, an den man den Neujahrskuss vergibt und mit dem man am besten noch den Valentinstag mitnimmt. Kuscheln, Filme schauen und Kälte vertreiben. Danach reicht es aber auch wieder.
In meinem Fall war es anders, versprochen. Ein Bachatakurs des Hochschulsports brachte uns einander auf den Radar. Dann der Clue: Wir wohnten nur zwei Straßen entfernt – in Berlin ein echter Jackpot! Als er mich auf einen Weihnachtsball einlud, trafen wir uns für etwa zwei Wochen jeden Abend zum „Tanzen üben“. Aus dem langsamen Walzer wurden lange Umarmungen, und tja – plötzlich stand meine Zahnbürste in seinem Badezimmer.
Aber wieso geht es danach so oft nicht weiter? Die Gründe sind wohl so verschieden, wie wir jungen Menschen alle zusammen. Für mich ist eine Beziehung etwas enorm Besonderes. Die Entscheidung, mit wem man sein Leben teilt, beeinflusst, was man isst, mit wem man sich umgibt, welche Lebensziele man langfristig verfolgt und so vieles mehr. Sie kann, ob man will oder nicht, die Richtung bestimmen, in die das eigene Leben langfristig weiterläuft. Daher möchte ich mich nur committen, wenn unsere persönlichen Ziele und zwischenmenschliche Energie zu 100 Prozent matcht.
Wozu also das Ganze? Vielleicht treibt uns die Jagd nach dem Kuschelhormon Oxytocin an. Es steigert unser Wohlbefinden, hilft beim Stressabbau und stärkt unsere zwischenmenschlichen Verbindungen. Sobald wir beginnen, uns zu umarmen und zu küssen, läuft es in unserem Körper auf Hochtouren. Genau das tut im kalten, grauen Winter-Berlin enorm gut.
Und zugegebenermaßen: Ich habe mich in der für mich noch neuen Stadt kein einziges Mal einsam gefühlt. Unsere Tanz/Kuschel Treffen machten dabei sicher einen Unterschied. Der Ball, auf den wir gingen, erfüllte meine Märchenfantasie aus Kindertagen: Ich im langen rosa Ballkleid, er im schicken Anzug. Wir tanzten, bis uns die Füße weh taten und fuhren beseelt ein letztes Mal zu meiner Wohnung. Danach wandte sich alles langsam einer großen Änderung zu. Ich würde über Weihnachten heimfahren und danach etwa 50 Minuten entfernt am anderen Ende der Stadt wohnen. Kein Drama, aber ob das unsere Situationship überstehen wird?
Da wären wir auch schon beim „Haken“ (oder dem großen Vorteil?) der Situationships. Es ist fantastisch, sich unverbindlich zu treffen, eine gute Zeit zu verbringen, aber keinen Druck zu haben, sich beispielsweise jeden Tag zu melden. Es tut gut zu wissen, dass da jemand ist, mit dem man all die tollen „Couple Sachen” machen kann und trotzdem weiß, dass man sich in keinster Weise einschränken muss. Trotzdem kommt manchmal ein Bedürfnis nach mehr Sicherheit hoch, mit dem Gedanken, dass es auch schön wäre, eine Zukunft mit einem Menschen zu sehen und zu planen.
Der Begriff „Situationship” ist durchaus dehnbar. Zwischen reiner Bedürfnisbefriedigung und tiefem emotionalen Investment ohne „Beziehungsstempel” sind keine Grenzen gesetzt. Für mich ist es wohl etwas dazwischen. Ich muss den Menschen mögen, keine Frage, man sollte sich unterhalten können. Aber die wahnsinnige Tiefe der Gespräche, die mich bis fünf Uhr morgens wach hält, weil man nicht aufhören kann, über das Leben zu philosophieren – suche ich dabei nicht. Vielmehr lasse ich mich auf eine gewisse Chemie ein, die sich wunderbar anfühlt, mir als Basis für eine Beziehung jedoch zu wackelig wäre. Eine Art Flamme, die von innen heraus wärmt, bei der aber sehr unklar ist, wie lange sie noch brennen wird.
An sich kein Problem. Oder? Problematisch wird es erst dann, wenn nicht richtig oder unehrlich kommuniziert wird. Zum Beispiel, wenn die Bedürfnisse sich bei einer Person im Laufe der Zeit ändern oder die Intentionen von vornherein nicht klar besprochen wurden. Das endet dann oft mit Herzschmerz, oder, bevor es so richtig begonnen hat.
Um ehrlich zu sein, gehen vermutlich auch viele Menschen eine Situationship ein, obwohl sie sich insgeheim eine feste Beziehung wünschen. Genau die Vorteile – Unverbindlichkeit, Uneingeschränktheit, Verfügbarkeit von Nähe und Intimität in einem nicht-exklusiven Kontext – locken extrem. Gleichzeitig können sie sich aber auch als anstrengend und frustrierend herausstellen. Zum Beispiel dann, wenn der Weg zueinander eben doch mehr als eine Straßenkreuzung ist, und man überlegen muss, wie viel Aufwand einem die „lose Verbindung” letztendlich wert ist.
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