Der Konflikt im Nahen Osten ist omnipräsent. Auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin (ILB) diskutierten vier bekannte israelische Autor*innen über den Literaturbetrieb des Landes angesichts des 7. Oktober und des Gaza-Krieges. Literaturtheoretische Überlegungen kamen dabei leider zu kurz.
Der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und der darauf folgende Gazakrieg werden, auch nach einem Jahr, nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch unter Kulturschaffenden teilweise erbittert diskutiert. Unter dem Titel “Reflexe und Reflektionen” diskutierten vier israelische Autor*innen die Auswirkungen von Massaker und Krieg auf den Literaturbetrieb des Landes.
Die Kraft der Literatur besteht darin, Leser*innen neue Welten zu eröffnen. Wir tauchen beim Lesen in die Geschichten (fiktiver) Figuren ein. Sie unterscheiden sich mitunter fundamental von unseren eigenen und wir lernen dadurch neue Perspektiven kennen – Insbesondere angesichts eines seit mehr als 100 Jahren anhaltenden Konflikts, der seit dem 7. Oktober eine neue Eskalationsstufe erreicht hat. Dabei stechen literarische Reflexionen, in denen die Perspektive der anderen Seite dargestellt wird, besonders heraus. Sie können dabei helfen, Geschichten fremd wahrgenommener Menschen besser zu verstehen und eine politische Annäherung ermöglichen.
Maya Arad Yasur, Odeh Bisharat, Lizzie Doron und Yishai Sarid sind vier israelische Autor*innen, die bereits vor der aktuellen Eskalation über den Konflikt geschrieben haben und versuchen, beide Seiten des Konflikts in ihren Werken zu Wort kommen zu lassen. Bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Internationalen Literaturfestival Berlin diskutierten sie über die Folgen des 7. Oktober und des Kriegs in Gaza für den israelischen Literaturbetrieb.
Vier literarische Perspektiven auf den Konflikt
Maya Arad Yasur ist Dramatikerin und arbeitet am Jaffa Theatre, einem jüdisch-arabischen Theater in Tel Aviv-Jaffa. Wenige Tage nach dem 7. Oktober schrieb sie ihr neues Stück „Wie man nach einem Massaker humanistisch bleibt in 17 Schritten“. In diesem Stück versucht sie, den Terroranschlag zu verarbeiten und geht der Frage nach, wie der reflexhaften Wut, die sie wie viele andere Israelis nach dem Anschlag überkam, begegnet werden kann, ohne die eigenen humanistischen Ideale zu verraten und das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung auf der anderen Seite der Grenze zu negieren.
Odeh Bisharat hat die Besonderheit, als palästinensischer Israeli immer für zwei Zuhörer*innenschaften zu sprechen und zu schreiben. Er wurde 1958 als Sohn von Nakba-Vertriebenen in einem Dorf in Galiläa im Norden Israels geboren und schreibt sowohl auf Hebräisch, als auch auf Arabisch. Diese Situation führt dazu, dass er politisch zwischen den Stühlen sitzt: So ist er Gegner der israelischen Politik gegenüber den Palistinänser*innen, als auch gegen die Hamas und andere islamistische Gruppen in Palästina. In seiner Tätigkeit als bekannter Autor und Journalist fällt ihm die Aufgabe zu, beiden gesellschaftlichen Gruppen die jeweils andere erklären zu müssen.
Lizzie Doron hat Israel verlassen und lebt inzwischen in Berlin. Ihre ersten Romane über das Schicksal von Holocaust-Überlebenden und deren Kinder in Israel wurden zu Bestsellern. Für ihre neueren Werke, die die Perspektive der Palästinenser*innen beleuchten, hat sie jedoch noch keinen Verlag gefunden. Daher konnten ihre Romane Sweet Occupation oder Who the Fuck is Kafka, obwohl sie auf Hebräisch geschrieben sind, nicht in dieser Sprache veröffentlicht werden.
Yishai Sarids Roman Siegerin, der 2021 auf deutsch erschienen ist, handelt von einer Militärpsychologin, die junge israelische Soldat*innen auf ihre Einsätze vorbereitet und versucht, ihnen die Angst vor dem Töten und Sterben zu nehmen. Als ihr einziger Sohn eingezogen wird, gerät ihre professionelle Distanz ins Wanken. Nach dem 7. Oktober hat Sarid ein Podcast-Projekt gestartet, in dem er Interviews mit Soldat*innen führt, die in Gaza gekämpft haben. Diese berichten: “Der Krieg ist in allen Teilen der Gesellschaft präsent und es gibt kein Entrinnen.“ Dialog zwischen beiden Seiten werde immer schwieriger und mit jeder Eskalation nehmedie Radikalisierung auf beiden Seiten zu.
Viel Politik, wenig Literatur
Einig waren sich die Podiumsgäste in ihrer Kritik an der amtierenden israelischen Regierung, sowohl in Bezug auf die Kriegsführung als auch auf den Angriff auf politische Institutionen und Rechte. Trotzdem kam es zu emotionalen Diskussionen; vor allem um die Hauptverantwortlichen hinter dem Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung.
Die Podiumsdiskussion zeigte, dass es gerade in Kriegszeiten schwierig ist, Politik und Literatur voneinander zu trennen. Viele Antworten der Podiumsgäste waren mehr politischer als literarischer Natur.
Trotzdem blieb eine Frage offen, obwohl sie unübersehbar im Raum stand: inwiefern Literatur durch Personalisierung zu Verständigung oder Friedensstiftung beitragen kann. Eine enorme Aufgabe — schließlich sind an dem beschriebenen Konflikt Generationen von Politiker*innen gescheitert. Es wäre schlicht vermessen, dies von den Autor*innen einzufordern.