Neues vom Schiffbauerdamm: Das Berliner Ensemble spielt derzeit das neue Stück von Sybille Berg. Hier wird eine anti-kapitalistische, digitale Revolution inszeniert, die den Zuschauenden aufnimmt, umherwirbelt und etwas bedröppelt zurücklässt.
Sybille Berg ist vieles: Kolumnistin, Schriftstellerin, Dramatikerin – vor allem aber ist sie unangepasst. Doch an diesem Sonntag ist nun noch etwas dazu gekommen: Europaparlamentsabgeordnete für die Partei DIE PARTEI. Ihr jüngstes Theaterstück RCE könnte fast als Wahlprogramm funktionieren, hat doch die Geschichte um die fünf Nerds eine explizit europäische Ausrichtung. Sie alle wollen ein „neues Europa gestalten”. Sogar in den Wahlwerbespots spricht sie dies an – als Stück über eine „gelungene Revolution, die den Konzernkapitalismus pulverisiert.“
Ähnlich wie das Parteiprogramm der Partei ist auch Bergs Stück all over the place: Es gibt Szenen, die an den Film Interstellar erinnern, pointierte Kapitalismus-Kritik und jede Menge Weltrettung. Wer nun aber an eine kohärente Geschichte mit Heldenreise, Drei-Akt-Struktur oder ähnlichem Ordnungsprinzip denkt, hat weit gefehlt. Denn RCE wirkt eher wie eine digitale Collage, die auf einem Raumschiff stattfindet; einem Raumschiff, in dem Ideen übereinander geschichtet und ineinander verwebt werden, manchmal aber auch als Kontrast hart aufeinandertreffen.
In seiner Laufzeit von nur etwas über einer Stunde schafft es das Stück, den Zuschauenden auf einen wilden Ritt durch eine dystopische Zukunft zu nehmen, der keine Atempause zulässt. Immer wieder versucht man eine Moral oder die eigene Meinung der Autorin zwischen den Zeilen zu erkennen, doch sobald ein ernsterer Ton angeschlagen wird, schweift das Stück schnellstmöglich wieder in eine seiner Techno-Musikeinlagen ab und es bleibt keine Zeit das Gesehene zu verarbeiten oder etwaige klaffende Logiklöcher wirklich zu verdauen. Das Mantra des Stückes: „Es brauchte eine Revolution, zu der man tanzen kann.“
So verbildlicht das Stück aber auch die radikale Überforderung, die jedem im Internet aufgrund der unendlichen Informationsmenge entgegenschlägt. Ob jedoch die digitale Welt grundsätzlich zu kritisieren ist oder nur ihre hyperkapitalistische Nutzung, bleibt offen. Schließlich sind es ja die Nerds, die durch eine wohlplatzierte Remote-Code-Execution das System stürzen. Sie nutzen Fake News für die gute Sache und werden als extrem antisoziale Individuen gegen die dumme, blinde Masse ausgespielt – am Ende fusionieren sie aber mit ihr.
RCE macht definitiv Spaß und sorgt für Abende voll Gesprächsmaterial, kann durch die Reizüberflutung aber auch hilflos zurücklassen. Sybille Berg bleibt eine der spannendsten Personen der Gegenwarts-Dramatik und eine umso spannendere Politikerin. Für manche wird es nichts sein, für andere einer dieser „Momente, in denen alles zu passen scheint.“
Foto: © Marcel Urlaub