Als queere Person mit wenig Interesse für Leistungssport habe ich die EM lange ignoriert. Spätestens beim Public-Viewing des Deutschlandspiels merkte ich allerdings, wie viel Abneigung ich eigentlich gegen den Fußball verspüre. Und warum diese berechtigt ist – aber ich sie trotzdem überwinden sollte.

Das erste Fußballspiel der EM 2024, bei dem ich aktiv zuschaue. Achtelfinale, Deutschland gegen Dänemark. Bis dahin hatte ich noch kein Spiel gesehen, weil mir Fußball einfach ein bisschen egal ist. Aber mit einer großen Gruppe zum Public-Viewing zu gehen, klang dann doch irgendwie lustig. Ich kann ja nicht die ganze EM lang kein Spiel sehen, dachte ich, denn dann wäre es mir ja nicht egal, dann würde ich es aktiv ignorieren.

Mein Freund (bis dato mein größter Verbündeter in meiner Schmähung der EM), war auch mit dabei. Wir hatten uns beide öfter in unserem Desinteresse bekräftigt, uns über Fans in der U-Bahn beschwert und vor allem (!) über Freunde und Bekanntschaften aufgeregt, die in den letzten Wochen große Fußballfans geworden waren. Wie langweilig fanden wir es, einen Abend damit zu vergeuden, ein Spiel zu gucken. Wie haben wir über den Wettverlust (90€!) eines Freundes gelacht. Und wie wütend waren wir, wenn Bekannte keine Zeit hatten, weil sie lieber die EM verfolgten als Zeit mit uns zu verbringen. Ok, zugegeben: In unserem gemeinsamen Desinteresse steigerten wir uns auch manchmal in eine grundlose Abneigung des Sportevents. Als der Vorschlag zum Public Viewing kam, dachte ich erst, ich müsste meinen Freund aufwändig überreden, mitzukommen.

Aber nein, er war dabei und so quetschten wir uns an einem heißen Samstag auf den engen Platz im 11Freunde-EM-Quartier im Astra Kulturhaus. Sofort bereute ich meine Entscheidung. Durch geschicktes Drängeln und Aus-dem-Weg-Schubsen einiger Kinder, hatten wir 30 Minuten vor Spielbeginn einen Stehplatz im Mittelfeld (Fußballbegriff) erreicht. Zwischen betrunkenen Sechzehnjährigen. Es wurde immer voller. Es war so heiß. Mein Freund sah mich an, sein Unbehagen war ihm anzusehen. „Nach der ersten Halbzeit können wir gehen“, teilte ich ihm gütig mit. Er lächelte dankbar. Wir beide wussten: Dieser Ort ist nicht für uns.

Turbulenter Spielverlauf

Anpfiff. Das Spiel war gut, die Stimmung war gut. Meine Laune war schlecht. Hitze, teures Bier, eklige Toiletten und diese dümmlichen Lieder! Schlimmer noch war aber der Verrat meines Freundes. Denn kurz nach Anpfiff wurde er von der Woge der Begeisterung mitgerissen. Angeregt tauschte er sich mit den anderen über die Spielmanöver aus und tat sein Empfinden auch noch durch lautes Anfeuern oder Stöhnen kund. Während ich an meinem warmen Bier nippte, mir Luft zufächelte und von einem Bein aufs andere trat, sprang er begeistert auf und ab. Wir blieben das ganze Spiel. Obwohl das Spiel wegen eines Gewitters unterbrochen wurde. Obwohl in der zweiten Halbzeit eine Frau neben uns in Ohnmacht fiel. Obwohl ich irgendwann in den Innenbereich ging, um einen Sitzplatz zu finden…

Meine Ablehnung des Fußballs geht auf meine Kindheit zurück. Es ist die klassische Geschichte eines queeren Jungen im Konflikt mit Teamsport, Jungscliquen und schwierigen Männlichkeitsidealen. Alle spielten Fußball und ich nicht, ich spielte allein. Das hat in mir eine tiefe Abneigung hervorgerufen. Mittlerweile gebe ich nicht mehr vor, Fußball zu „hassen“. Als Erwachsener hasst man nicht, man ist einfach nicht interessiert. Ich war also nicht interessiert, nicht an den Spielen und vor allem nicht an der Masseneuphorie, die da mitschwang. Aber tatsächlich überwunden habe ich meine Abneigung wohl nie. Das merkte ich an meiner hämischen Genugtuung über das frühzeitige Ausscheiden der DFB-11 bei der letzten WM. Das merke ich an dem Überlegenheitsgefühl, das ich dümmlichen Fußballfans gegenüber empfinde. Und das merke ich an meiner Wut und Enttäuschung inmitten der feiernden, grölenden Masse.

Enttäuschung trotz Sieg

Mein Freund verband keine explizit negativen Erfahrungen mit dem Sport, er war einfach wirklich nicht interessiert gewesen. Umso schöner doch eigentlich seine spontane Leidenschaft. Aber auf dem Heimweg stritten wir uns, ich machte mich über seine neue Begeisterung lustig, reihte ihn ein in die Reihe unserer Freund*innen, alles frischgebackene Fußballfans. Als wir zuhause ankamen, war seine gute Stimmung weg. Nun waren wir beide enttäuscht.

Im Nachgang habe ich viel über meine Beziehung zum Fußball nachgedacht. Kann man einen Sport hassen? Und sollte man deshalb alle verachten, die es nicht tun? Meine Freund*innen und mein Freund sind nicht vom Fußball begeistert, sondern von der Stimmung, vom Gefühl der gemeinsamen Teilhabe. Ich beneide dieses Zugehörigkeitsgefühl und möchte Teil davon sein – aber kann das nicht. Ich kann das nicht, weil der Fußball mich ausgeschlossen hat und ich beschlossen habe, dass ich über allem stehe, was damit zu tun hat. Und dabei verkenne ich, dass meine Freund*innen ja nicht Teil der ausschließenden Clique sind, im Gegenteil, die queeren Menschen, die Frauen, mit denen ich das Spiel gesehen habe, ihre Anwesenheit holt sich die Begeisterung zurück, schafft einen Raum für mich, Leute wie uns, um am Fußball teilzuhaben. Vor lauter Ablehnung des Fußballs, verhielt ich mich selbst wie der anstrengendste Fußballfan: Ich sprach ihnen die Kompetenz und die Freude am Fußball ab.


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