(In Berlin) studieren heißt auch: Ständig mit der moralischen Zurschaustellung von „linken Idealen“ konfrontiert sein. Warum muss man sich nach dem Besuch dreier sozial- oder geisteswissenschaftlicher Seminare eigentlich dermaßen aufspielen? Höchste Zeit, unsere Weltverbesserungsambitionen mal ein wenig aufs Korn zu nehmen.

Mein sexpositiv-polyamores Bumble-Date und ich sitzen im Restaurant. Mega, diesen Tipp hatte ich letztens in einem Foodfluencerinnen-Video auf TikTok gesehen. Einfach eine tolle Idee, chinesische Fusion-Küche vegan zu gestalten, „slay“! Und das authentische Multi-Kulti-Ambiente im rauen Berliner Süden (Neukölln) war dann auch noch ein richtiges Erlebnis. Die Crack-Abhängigen im U-Bahnhof waren zwar irgendwie Abturn, aber wir haben uns dann einfach ein Uber genommen. Probleme, die sich nicht unmittelbar irgendwelchen soziologischen Schlagwörtern zuordnen lassen, sind mir irgendwie etwas unangenehm.

Am nächsten Tag im Café treffe ich mich mit meinen Mädels: Junge, intelligente Frauen, die sich austauschen und gegen patriarchale Strukturen in der Wissenschaft kämpfen wollen. Mit ihnen ist es doch immer noch am schönsten. Das liegt wohl auch daran, dass wir alle aus so gut wie identischen westdeutschen Käffern stammen, aber darüber reden wir nicht. Herkunft ist ja auch nicht so wichtig, denn wir haben unsere Privilegien mehr als reflektiert und sind nach inzwischen zehn Monaten voll und ganz im Großstadtleben angekommen. Das hält uns zwar nicht davon ab, auf Menschen herabschauen, die das Konzept von „safe spaces” nicht verstanden haben, aber ein bisschen Eigeninitiative kann ja wohl auch noch erwartet werden. Ganz ehrlich, ihr könnt euch auch nicht immer nur darauf verlassen, dass ich unablässig UNBEZAHLTE!!! politische Bildungsarbeit auf meinem Insta-Account „krawallmausi123” teile (dessen Bio übrigens ein Hammer-und-Sichel-Symbol ziert, natürlich nur für die „vibes“). Auch ich habe meine Grenzen!
Ihr wisst ja gar nicht, was ich in meinem Leben bereits für Opfer bringen musste. Damals im Malle-Urlaub, als meine ätzenden Eltern die ganze Zeit mega hässliche Fotos von mir gemacht UND die dann auch noch auf Facebook gepostet haben?! Oder als der süße Jonas aus der 9c einfach mit meiner besten Freundin zusammengekommen ist … das war schon hart für mich. Auch „krawallmausi123” hat eine dunkle Geschichte. Zum Glück habe ich das mittlerweile produktiv umwandeln können, denn durch diese Erfahrungen habe ich verstanden, was Schmerz bedeutet. Seither setze ich mich unablässig für die Benachteiligten dieser Welt ein, das ist eine Verantwortung von uns allen. 

Da sind meine Mädels und ich uns ja zum Glück einig. Wohlig nippe ich an meinem Matcha-Latte. Dann jedoch Schockmoment: Lisa kaut besorgt auf ihrem Müsli … „OMG Leute, die Schokostückchen waren aber nicht vegan!?” Wir sind entsetzt. Da kann man die gestresst wirkende, für Mindestlohn beschäftigte Angestellte des Cafes schon mal freundlich darauf hinweisen, dass nicht-vegane Zutaten aber schon entsprechend gekennzeichnet sein sollten. Hallo, gehts noch?! Wir versuchen hier immerhin, die Welt zu retten. „Und wie pampig die dann reagiert hat, bestimmt war die rechts”, meint Nadja irritiert. Betreten nicke ich. Ihre Privilegien als weiße Cis-Frau im Kontext des intersektionalen Feminismus scheint sie auch nicht reflektiert zu haben: Schokolade wird schließlich in vielen Fällen in neokolonialen Ausbeutungsverhältnissen des Globalen Südens produziert, deren tragende Stütze die Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft ist. Und überhaupt, was hatte die eigentlich an?! So einen Fast-Fashion-Scheiße von H&M unterstütze! ich! nicht!

Nach diesem schockierenden Zwischenfall lasse ich mein Seminar „Fluide Welten: Politische, soziale und ökologische Verschränkungen in Mensch-Wasser-Beziehungen” ausnahmsweise sausen. Ein bisschen Me-Time muss einfach auch mal sein.


Illustration: Luna Kommoss