In der Ausstellung des Museums in Schöneberg wird die jüdische Erfahrung zwischen Alltag und der drückenden Realität der Verfolgung behandelt. Ein Spagat zwischen Normalität und zunehmender Ausgrenzung.
Das Leben festhalten – das ist die aktuelle Sonderausstellung im Museum in Schöneberg, die noch bis Ende März besichtigt werden kann. In der Ausstellung sind sechs verschiedene Fotoalben von jüdischen Einzelpersonen und Familien zu sehen, sechs verschiedene Leben. Die Ausstellung ist in unterschiedliche Themenbereiche, wie Sport, Urlaub, Stadtleben, Verfolgung und Exil unterteilt, wodurch der Alltag der Menschen im Mittelpunkt dieser Ausstellung steht. Dabei sind die Fotografierten die Geschichtenerzähler, die durch ihre eigenen Bilder sprechen. Ganz nach dem Motto: Bilder sagen mehr als tausend Wörter. Diese Alben stammen überwiegend aus familiären Sammlungen sowie aus Archiven, wie der Wiener Holocaust-Bibliothek in London und dem Leo Baeck Institut in New York. Zudem sammelte der Kurator Robert Mueeler-Stahl wertvolle Erkenntnisse durch Gespräche mit direkten Nachfahren.
Der Historiker Robert Mueller-Stahl ließ sich von seiner Dissertation, die sich tiefgreifend mit dem Thema jüdische Privatfotografie auseinandersetzte, zu dieser Ausstellung inspirieren. Seine Forschung zu diesem Thema bildet einen wichtigen Hintergrund für die Ausstellung, die im Rahmen eines Kooperationsprojekts zwischen dem Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) und dem Richard Koebner Minerva Zentrum der Hebräischen Universität Jerusalem entstand. Mueller-Stahl beschreibt die Ausstellung als Ausdruck einer Diskrepanz zwischen der Heiterkeit, Normalität und Alltäglichkeit, die in den Bildern festgehalten ist. Die jüdische Verfolgung ist dabei nicht der Mittelpunkt der Ausstellung, sondern wird als Teil des Lebens präsentiert. Zentral ist das gesamte Leben der Menschen. Die Liebe zum Sport der Familie Chotzen. Das Leben im Heim des Walter Frankensteins. Der Traum von Edith Schlomann, Innenarchitektin zu werden. So stellt diese Ausstellung eine ehrliche und andere Darstellung von jüdischem Leben dar. Eine andere Darstellung entsteht vor allem dadurch, dass die Ausstellung den Charakter einer Selbst Reportage hat.
Die Familien dokumentierten ihr Leben auf eine Weise, wie sie es in Erinnerung behalten wollten. Von Bildern einer Schlittschuhfahrt in Berlin im Winter 1937 bis hin zu Urlaubsfotos am Strand in Swinemünde samt “Foto-Eisbär”-Attraktion. Diese augenscheinliche Heiterkeit und Normalität, die in den Bildern dargestellt werden, widersprechen dem Wissen um die Verfolgung und Vertreibung, die die Abgebildeten erlitten. Diese Diskrepanz ist eine Art der Selbstbehauptung und erzählt eine individuelle Geschichte jüdischen Lebens, wobei die Täter keine direkte zentrale Rolle spielen. So wird das jüdische Leben in den Mittelpunkt gerückt, und zwar nicht erst ab dem Moment der Verfolgung. Sich mit diesen Lebensgeschichten auseinanderzusetzen, bedeutet deshalb, die Diskrepanz zwischen Normalität und Verfolgung zu akzeptieren. Laut Robert Mueller-Stahl geht es darum, die Bilder auf sich wirken zu lassen und ihnen die Möglichkeit zu geben, für sich selbst zu sprechen. Er sieht in dem Ausschnitthaften, dem Lückenhaften, dem Gestellten der Fotos eine enorme Freiheit.
Mueller-Stahl hat vor allem die Nähe zu den Menschen aus den Fotoalben nachhaltig geprägt: „Durch diese sehr persönlichen Fotos baut man eine Nähe zu den Menschen auf diesen Fotos auf und so entwickelt sich eine ganz andere Art der Empathie.“ Die Ausstellung „Leben festhalten“ weckt Empathie. Sie bewegt sich durch ihre echte und einfache Darstellung. Sie schafft es, eine andere Erinnerungskultur einzuführen. An individuelle Geschichten zu erinnern, stellt somit eine Bewahrung von Individualität dar. Andere Fotoalben geraten in Vergessenheit, verstauben auf Dachböden oder verschwinden mit der Zeit. Diese Alben sind bis Ende März im Museum in Schöneberg ausgestellt und geben Einblicke in das facettenreiche jüdische Leben während des Nationalsozialismus. Diese Fotoalben, die wie eine Selbstreportage gewirkt haben, schaffen Brücken und eine Nähe, der es sich lohnt zu begegnen.
Foto: Swinemünde 1936, Kurt and Edith Brent Collections