„Eisbären Si, Arbeit No!“ Das Else-Jahn-Kurvenkollektiv ist die einzige aktive Fanszene im Fraueneishockey in Deutschland. Ihre antifaschistische Gesinnung trägt das Kollektiv dabei offen zur Schau.
„Frauensport gerecht finanzieren“ steht in großen blauen Buchstaben auf einer Zaunfahne vor dem Block E im Wellblechpalast in Berlin-Hohenschönhausen. Mit diesem Transparent will die Fangruppierung Else-Jahn-Kurvenkollektiv gegen die strukturelle Unterfinanzierung des Frauensports protestieren. An einem frühlingshaften Märzabend treffen die Eisbären Berlin in Spiel 3 der Halbfinalserie der Frauen Eishockey Bundesliga auf Hauptrundensieger ERC Ingolstadt. Unter den 286 Zuschauer*innen ist Jay. Sie geht seit 2017 regelmäßig zu den Spielen und ist im Else-Jahn Kurvenkollektiv aktiv, der bisher einzigen aktiven Fanszene im Fraueneishockey in Deutschland.
Aufgewachsen in Hohenschönhausen, begeisterte sich Jay früh für den Eissport, ging ab 2007 regelmäßig zu den Heimspielen der Männermannschaft und engagierte sich dort in der Ultragruppe Black Corner. Nach dem Umzug der Herrenmannschaft in die Mercedes-Benz Arena und im Zuge von Konflikten mit dem Verein und einer anderen Fangruppierung trafen sie und einige andere Fans eine Entscheidung: Sie wendeten sich von der Männermannschaft ab um in den „Welli” zurückzukehren und die Frauenmannschaft dort anzufeuern. „Wir hatten keinen Bock mehr auf die Flughafenatmosphäre beim Einlass, die immer weiter steigenden Dauerkartenpreise, das Ultra-Gehabe und die mangelnde Familienfreundlichkeit“, sagt Jay. Im Wellblechpalast dagegen könnten sie sich frei ausleben und ihr Engagement sei allseits geschätzt. „Hier hat man uns einen Raum gegeben, in dem wir uns entfalten können und unsere politische Überzeugung nicht am Stadiontor abgeben müssen“, ergänzt sie.
Antifaschistische Fanszene
Benannt ist das Kollektiv nach Else Jahn, einer Antifaschistin und Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime aus Berlin-Weißensee. Jahn wurde als KPD-Mitglied 1936 von der Gestapo verhaftet und für drei Jahre in einem Zuchthaus interniert. Nach der Haftentlassung 1939 tauchte sie im Untergrund ab. Als im Frühjahr 1945 die Rote Armee nach Berlin vorrückte, bot sich Jahn den sowjetischen Truppen als Lotsin an und navigierte sie, bis zu ihrem Tod bei einem Schusswechsel mit SS-Truppen, durch Berlin. „Wir wollten einen weiblichen Namen, also haben wir geguckt, wen es in der Nähe gibt“, erzählt Jay. Dabei seien sie auf die Geschichte von Else Jahn gestoßen, nach der eine Straße in Weißensee benannt ist. In der Vergangenheit haben Kollektivmitglieder Kiezführungen zum Leben von Else Jahn angeboten, um ihrer auf diese Weise zu gedenken.
Kurz vor Spielbeginn stehen etwa 100 größtenteils junge Menschen im Block und feuern die Mannschaft an. Neben den blau-weiß-roten Vereinsfahnen werden Antifa-Flaggen geschwenkt, die von Fangesängen für den Verein und politischen Parolen begleitet werden: „Siamo Tutti Antifacisti“, „Nie, Nie, Nie wieder Deutschland“ oder, passend zum Frauenkampftag am Vortag, „Kein Gott, Kein Staat, Kein Patriarchat“. Das Else-Jahn-Kurvenkollektiv ist eine explizit linke Fangruppierung. Die meisten Mitglieder des seit 2020 bestehenden Kollektivs gehören weiteren linken Gruppen an und sind über ihre Eishockeyleidenschaft hinaus politisch aktiv. Am 27. Januar, dem Holocaustgedenktag, organisierte das Kollektiv im Wellblechpalast eine Lesung aus dem Buch „Judenkönig“, das vom Leben des jüdischen Kommunisten und Auschwitz-Überlebenden Kurt Julius Goldstein handelt. Während eines Heimspiels am selben Abend hing ein Transparent mit der Aufschrift „Nie wieder ist immer“ in der Kurve.
Als Ultras bezeichnet man fanatische Fans von Sportvereinen, die ihre Mannschaft lautstark und leidenschaftlich mit Fahnen, Gesang, Trommeln, aber auch Choreographien oder sogar bengalischen Feuern unterstützen. Sie opfern einen erheblichen Teil ihrer Freizeit für ihren Verein. Entstanden als Subkultur junger, männlicher Fußballfans im Italien der 50er Jahre, hat sich die Bewegung inzwischen über die ganze Welt und verschiedene Sportarten ausgebreitet. Ultragruppen verschiedener Vereine pflegen Freundschaften und Rivalitäten zu Gruppen aus anderen Städten. Viele sind straff organisiert und haben eine Vorsänger*in, Capo genannt, die per Megafon die Fangesänge angibt.
Morgens Ausbildung, Abends Bundesliga
Neben der politischen Ausrichtung unterscheidet sich das Kollektiv im Ton der Unterstützung von klassischen Fanszenen. „Wir singen nie gegen die andere Mannschaft. Die Frauen leiden alle unter derselben Situation“, erklärt Jay. Obwohl das Kollektiv in der Tradition der Ultras steht, lehnen die Kollektivmitglieder den Begriff für sich ab. Jay erzählt, dass sie es schon immer interessanter fand, sich mit den Fans anderer Mannschaften zu unterhalten, anstatt einander zu beleidigen, sich gegenseitig Fanmaterial zu entwenden und auf dunklen Parkplätzen aufzulauern. Einen Capo oder eine Capa gibt es in der Else Jahn Kurve nicht. Niemand muss mitsingen, wenn sie nicht will. Alle sind willkommen – außer Nazis. Bei Sonntagsspielen sind in der Kurve meist auch Kinder und eine WG, in der Menschen mit Behinderung leben dabei.
Obwohl sowohl das Männer- als auch das Frauenteam erstklassig spielen, liegen zwischen den beiden Mannschaften in Bezug auf die finanziellen Voraussetzungen Welten. Die Männermannschaft wurde 1994 als GmbH aus dem Stammverein ausgegliedert und gehört dem US-amerikanischen Milliardär Philip Anschutz. Die Spieler sind allesamt Profis, die sich voll und ganz dem Eishockey widmen. Sie werden von einem großen Trainerstab und einer eigenen medizinischen Abteilung rund um die Uhr betreut. Die Spielerinnen der Frauenmannschaft können nicht vom Sport leben. Im Gegenteil: Sie studieren, machen eine Ausbildung oder müssen Vollzeit lohnarbeiten, um sich sowohl ihren Lebensunterhalt, als auch ihren Sport zu finanzieren. Dementsprechend kann die Mannschaft nur abends trainieren, nachdem die Spielerinnen bereits einen langen Arbeitstag hinter sich haben. Erst im letzten Jahr ermöglichte eine Spendenaktion des Else-Jahn-Kollektivs die Festanstellung eines eigenen Physiotherapeuten für das Frauenteam.
Spannendes Spiel und lautstarke Unterstützung
Ein weiterer entscheidender Unterschied zwischen den beiden Mannschaften liegt in der Fannähe. Während die Männer kaum Kontakt zu ihren Fans pflegen, kennen die meisten Kollektivmitglieder die Spielerinnen persönlich und haben ein mitunter freundschaftliches Verhältnis zueinander. Anfang des Jahres luden die Fans die Mannschaft zu einem nachweihnachtlichen Essen ein. Bei einem Auswärtsspiel in Amsterdam durfte das Else-Jahn-Kurvenkollektiv sein Fanmaterial in der Mannschaftskabine abstellen, sodass die Kollektivmitglieder es nicht durch die ganze Stadt tragen mussten.
Auf dem Eis entwickelt sich indes ein spannender Schlagabtausch. Dank aufopferungsvoller Defensivarbeit und gefährlichen Kontern gelingt es den Eisbärinnen den spielerisch überlegenen Ingolstädterinnen Paroli zu bieten. In der dreißigsten Minute, nach Hälfte der Spielzeit, halten die Fans blaue, weiße und rote herzförmige Luftballons und Pappschilder, sowohl in den drei Vereinsfarben, als auch in Regenbogenfarben, zu einer Choreographie in die Höhe. Mit der Aktion wollen sie sowohl ihre Liebe zum Verein, als auch ihre Solidarität mit queeren Kämpfen ausdrücken. Nach 60 Minuten steht es 3:3, so dass das Spiel in die Verlängerung geht, in der das erste Tor über Sieg und Niederlage entscheidet. In der Verlängerung dauert es dann nicht mal eine Minute, bis der ERC Ingolstadt den 4:3 Siegtreffer erzielt.
Der Stimmung in der Else-Jahn-Kurve tut die Niederlage indes keinen Abbruch. Auch Minuten nach Spielende singen die Fans und bejubeln ihre Mannschaft, bis sie noch einmal für eine Ehrenrunde aufs Eis kommt, um sich für die Unterstützung zu bedanken. Aus den Lautsprechern erklingt die Vereinshymne „Geboren in Hohenschönhausen“ der Berliner Band Skamarley. Nach einer weiteren Niederlage am darauffolgenden Tag ist die Saison für die Eisbärinnen beendet und die Spielerinnen gehen in die wohlverdiente Sommerpause. Ab Herbst heißt es dann im Wellblechpalast wieder „Heraus zum Fraueneishockey“ und „Yallah EHC“.
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