Es ist Zitrussaison in Israel, überall im Land hängen die reifen Früchte, überall werden helfende Hände gesucht. Der Krieg macht die Einreise der regulären Arbeitskräfte aus dem Westjordanland unmöglich und so kommen Freiwillige aus dem ganzen Land zusammen, um die Landwirtschaft am Laufen zu halten. Ich war eine von ihnen und ging Anfang Januar einen Tag lang auf einer Orangenplantage arbeiten.

Der Wecker klingelt. 4:20 Uhr, genau meine Uhrzeit. Ich verfluche meine Idee und rolle mich aus dem Bett. Während ich Kaffee aufsetze, frage ich mich, ob es der Chefredaktion reichen würde, wenn ich die UnAuf-Rubrik „Einmal im Leben“ über die Betrachtung des Sonnenaufgangs schreibe. Oder über den Versuch, einen Kaffee zu trinken und direkt wieder einzuschlafen.

Als ich bei den Feldern ankomme, geht gerade die Sonne auf. Noch ehe der Anblick mich erfreuen kann, werde ich von dem Orangenbauern Alon herangewunken. Braungebrannt und hellwach, fragt er „Clara?“ Ich nicke. „Wunderbar, hier sind Beutel, Handschuhe und jetzt komm.“ Er führt mich an einen der Bäume, greift nach einer Orange und knickt zügig sein Handgelenk ein. „Genau so! Reißt die Schale, ist sie wertlos.“ Wertlos würde ich es nicht nennen, als ich 30 Sekunden später ein Stück Orange ausgehändigt bekomme. Köstlich! Ich hänge mir den Beutel um und probiere mich daran, eine Orange im scharfen Winkel vom Ast zu trennen. Alon kommt noch einmal zurück, „Ich will keine Orange mehr am Baum sehen. Wenn sie mushy sind“, er greift nach einer Orange und demonstriert, wie sein Daumen einsinkt, „wirf sie auf den Boden.“ – Alles klar, Chef! Die Pflücktechnik ist schnell gemeistert, allerdings sehe ich nach 20 Minuten so aus, als hätte ich einen intensiven Kampf gegen meinen Stubenkater verloren: Zitrusbäume haben Dornen.  

Gegen 9.00 Uhr setzt Regen ein und so eile ich unter die Blätterdecke eines dicht bewachsenen Baumes. Dort treffe ich zwei Damen um die 50, die zwischen den Orangen den neusten Kleinstadtklatsch analysieren: Der Ehemann war von einer Geschäftsreise nach New York mit einer jungen Harvard-Absolventin zurückgekehrt, woraufhin sie sich einen attraktiven Briten geangelt hatte. Nach einer kurzen, aber intensiven Affäre fühlte sie sich eingeengt und wollte nun, wie Julia Roberts in „Eat, Pray, Love“, nach Italien fliegen, einen Sprachkurs belegen und sich sonst nur Kochen und Kultur widmen. Wirklich serientauglich.

Als die Sonne wieder scheint, wechsele ich von Desperate Housewives am nächsten Orangenbaum zu Reality TV: „Ich bin ein hervorragender Liebhaber“, säuselt dort gerade ein Dunkelhaariger um die 19. Die Kehrseite des Entertainments: wahnsinnige Ineffizienz. Während ich eine orangenbeladene Kniebeuge nach der anderen mache, um auch die tiefhängenden Früchte zu erreichen, verweilen der säuselnde Jüngling und die Dame seines Begehrens vor einer einzelnen Orange, die ihren Weg in die Obstkiste wohl nie schaffen wird.

Nach gut sechs Stunden schreit mein Körper förmlich nach Nahrung. Meine Fingernägel sind von grellem Orange umrandet, meine Schuhe mit Schlamm verkrustet und mein Haar mit dornigen Ästen verziert. „Wie eine Waldfee“, werde ich später zuhause begrüßt. Als Dankeschön bekomme ich von Alon eine Tüte saftigster Orangen in die Hand gedrückt und werde von den beiden Damen für nächsten Freitag zum Essen eingeladenEin Gastauftritt in der Kleinstadtsoap? Ich bin dabei. Zuhause angekommen, lasse ich mich komplett erledigt auf die Couch fallen. Als Belohnung wird mir eine Schale frisches Hummus gereicht. Ich tunke hungrig mein Pita in das cremige Mus und esse zum Nachtisch noch eine selbstgepflückte Orange. Sie war noch nie so lecker.


Illustration: Sam Geraghty Cohen