Die Humboldt Universität zu Berlin hat eine NS-Vergangenheit, wie jede andere deutsche Institution. Wie unzureichend die Aufarbeitung bislang war, wurde bei der Vorstellung einer neuen Studie klar. Sven Oliver Müller zeigt, wie zentral die HU für die Pläne der Nazis war – was daraus folgt, blieb in Pressegespräch und Podiumsdiskussion allerdings vage.
Universitäten müssen zu ihrer Geschichte stehen. Dazu gehört auch die intensive Auseinandersetzung mit der Rolle, die eine staatliche Institution wie die Humboldt-Universität in der NS-Zeit innehatte. Ein erster Versuch wurde am 15. Juni in Form einer Podiumsdiskussion im Senatssaal der HU zu einer neuen Studie unternommen. Sven Oliver Müller, ein Historiker selbiger Universität, veröffentlichte im Mai diesen Jahres im Rahmen der Reihe „Neues aus der Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin“ die Publikation Wissenschaft plant Kriegsverbrechen: Der Umgang der Humboldt-Universität zu Berlin mit dem nationalsozialistischen Generalplan Ost. Eines seiner überraschendsten Ergebnisse, so gab Müller im Pressegespräch an, war die Ähnlichkeit westdeutscher und DDR-Universitäten. In beiden Ländern sah die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit demnach erstaunlich gleich aus. Meist wurde jedwede Verwicklung mit den Verbrechen des NS-Staates rundweg verneint, nicht zuletzt wegen großer personeller Kontinuitäten aus der NS-Zeit.
Müller zufolge war es wenig überraschend, dass auch die HU sich hier nicht anders verhielt. Material zur Aufarbeitung gibt es für die HU immerhin zur Genüge: Der Architekt der geplanten deutschen Besatzungspolitik im Osten, Konrad Meyer, lehrte als respektierter Professor an der Fakultät für Agrarwissenschaft. Der „Generalplan Ost“, an dem er maßgeblich mitwirkte, sollte ganz Europa in einen germanisierten Raum verwandeln, in dem andere Völker höchstens als Sklaven existieren durften. Die Federführung hatte Himmler inne, Teile des Projektes wurden verwirklicht – heute bekannt als Holocaust.
BRD, DDR und Nazis
Meyer konnte nach dem Krieg keine Karriere mehr an der HU verfolgen, arbeitete jedoch im akademischen Raum weiter – allerdings in Westdeutschland. Dort beriet er, wie Müller herausfand, unter anderem die niedersächsische Landesregierung in Agrarfragen. In Nürnberg wurde der Planer der Kriegsverbrechen mit dem Verweis auf seine wissenschaftliche Tätigkeit nur zu einer minderen Strafe verurteilt, die er nicht absitzen musste.
Wichtiger als Personalien wie Meyer selbst ist aber die Beschäftigung mit ihnen. Die Frage, ob Eisenman sich früher mit der NS-Vergangenheit der HU auseinandergesetzt hätte, wenn sich die Universität in der BRD befunden hätte, verneinte Müller. Noch 1990 gab es erhebliche Beschränkungen für die Forschung über die Vergangenheit der HU. Erst 2002 habe das Präsidium der HU offiziell die Beteiligung der Universität an den Verbrechen des NS-Staates in Osteuropa anerkannt. Daraus sei nun die vorliegende Arbeit entsprungen. (Ein) Ergebnis: Der angebliche „antifaschistische Staat“ DDR kehrte die eigene Vergangenheit ebenfalls gerne unter den Teppich.
Müller beantwortete die Frage, ob ihm nun bei seiner Forschung über die HU Steine in den Weg gelegt worden seien, knapp und prägnant mit „Nein“. Zumindest in dieser Hinsicht weht seit einigen Jahrzehnten wohl doch ein anderer Wind in Deutschlands akademischer Landschaft.
„Wir feiern hier keine Helden mehr“
Einige Fragen bleiben allerdings bewusst offen. Was folgt aus den Erkenntnissen dieser Studie? Welche Handlungen sollten sich daraus ergeben? Oder, wie es eine Studentin in der an die Veröffentlichung anschließenden Podiumsdiskussion formulierte: Was ist die Konsequenz für die HU im 21. Jahrhundert? Wie kann Wissenschaft, die Verbrechen plant, verhindert werden?
Bei besagter Podiumsdiskussion konnte der interimsmäßige Universitätspräsident Frensch darauf direkt antworten. Durch Aufklärung solle Expertise geschaffen werden, die ähnliche Vorgänge in Zukunft verhindern müsse. Ein rechtlicher Rahmen zur Verhinderung von menschenverachtender Forschung könne aber immer nur ungenügend geschaffen werden. Immerhin stehe auf der anderen Seite die Wissenschaftsfreiheit. Hier blieb allerdings fraglich, welche konkreten Folgen sich für die Universität aus der Kenntnis ihrer problematischen Vergangenheit ergeben könnten.
Ein Vorschlag dazu war allerdings schon von Müller zu hören: die Einrichtung von separaten Erinnerungsräumen. Diese sollten direkt an der Universität daran erinnern, dass die Humboldt Universität Planungsort des Holocaust war.
Eine Antwort konnte auch die Sprecherin der Historischen Kommission beim Präsidium der HU, Gabriele Metzler, geben. Seit einiger Zeit existierten Ethikkommissionen, die wissenschaftliche Anträge prüften. Zugleich sei die wissenschaftliche „Peer Group“, die die Arbeiten ihrer Mitglieder immer gemeinschaftlich unter die Lupe nehme, sehr viel kritischer und aktiver als vor 80 Jahren. Die Forschung habe sich verändert, man feiere eben an den Universitäten „keine Helden mehr“. Eine große Verantwortung sah auch Metzler bei den Studierenden der HU, die die Arbeit der Lehrenden kritisch prüfen und in Frage stellen müssten.
Zukunftsgewandte Ausblicke ließen sich dennoch wagen. So präsentierte sich während der Podiumsdiskussion die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung”, die den Generalplan Ost ins Zentrum ihrer Ausstellung am Anhalter Bahnhof stelle. Die These, die das Panel zuvor gestützt hatte, der Generalplan Ost sei in Deutschland weitgehend unbekannt, konnte so ein wenig aufgeweicht werden. Sven Oliver Müller verdeutlichte jedoch auch: „Diese Publikation ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang der Aufarbeitung.”
Foto: Heike Zappe