Der Berlinale-Film Berdreymi zeigt die liebevolle Freundschaft vier heranwachsender Jungen, die Schreckliches erleben müssen. Lichtblicke und Schönes gibt es hier nur in den kleinen Momenten.

Seit Tagen sitze ich um 10 Uhr vor dem Computer und versuche, Berlinale Tickets zu ergattern. Dann endlich klappt es: Zwei Tickets für die letzte Vorstellung des Panorama-Films Berdremyi – beautiful beings. Ein Film, der so schmerzhaft sein wird, dass ich manchmal wegschauen muss.

Denn das Coming-Of-Age-Drama des isländischen Regisseurs  Guðmundur Arnar Guðmundsson erzählt von vier heranwachsenden Jugendlichen in den sozial schwachen Gegenden Reykjaviks. An der Stelle von romantischen Island-Stereotypen und Polarlichtern sieht man hier nur vermüllte Vorgärten und Industriepanoramen. Im Wohnzimmer des 14-jährigen Protagonisten Balli liegt eingetrocknetes Erbrochenes.

Geschichte eines Außenseiters

Balli ist Einzelgänger und wird in der Schule wegen seines Körpergeruchs gemieden. Immer wieder verprügeln und demütigen ihn seine Mitschüler. Eines Tages so sehr, dass sein Schädel bricht und er einen stabilisierenden Helm tragen muss. Balli wird damit endgültig zum Freak erklärt.

Sein Zuhause ist eines, das diesen Namen nicht verdient. Seine Mutter ist drogenabhängig – die Mitarbeiterin des Jugendamts lässt sich schulterzuckend abwimmeln. Sein Stiefvater hat ihm ein Glasauge verpasst und sitzt zu Anfang des Films eine Gefängnisstrafe ab. Wenn seine Mutter wieder einmal tagelang verschwindet, vertreibt sich Balli die Zeit, indem er Zigarettenstummel sammelt und zu Ende raucht.

Als er sich auf dem Schulhof mit einer Flasche Alkohol im Arm selbst verletzt, lernt er die Jungentruppe bestehend aus Konni, Siggi und Addi kennen. Anfangs drangsalieren sie ihn, doch bald schon entdecken sie die Vorteile des vernachlässigten und damit ungestörten Elternhauses des Jungen. Und auch wenn sich die Jungen anfangs schämen, mit Balli gesehen zu werden, entsteht daraus langsam eine zärtliche Freundschaft.

Jungen, die kämpfen müssen

Dabei wird den Zuschauenden Stück für Stück schmerzlich deutlich, mit welchen Schicksalen die Jungen zu kämpfen haben. Da gibt es Konni, der sich hauptsächlich die Nächte um die Ohren schlägt, um nicht seinem cholerischen Vater in die Arme zu laufen. Im Kampf um Macht und Männlichkeit wird klar: Wenn er einmal zuschlägt, gibt es kein Erbarmen mehr. Siggi erscheint als Mitläufer der Gruppe, während Addi sich als Stimme der Vernunft entpuppt: Er zeigt Verletzlichkeit, ist sensibel und träumt oft ausgeprägt.

Alle Jungen haben also mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen. Gleichzeitig sind sie trotz ihrer Schwierigkeiten vor allem Kinder, die sich zwanghaft unvernünftig verhalten. Ihre Freundschaft fühlt sich manchmal brutal an, aber je härter sie sich gegenüber anderen zeigen, umso wichtiger sind sie füreinander.

Schönheit in den kleinen Momenten

Viel Schönes gibt es hier auf den ersten Blick nicht, doch die Schönheit bei Beydremi liegt in den kleinen Momenten: Immer wieder gibt es Sequenzen, in denen die Jungen die festen Muster ihrer Männlichkeit durchbrechen. Dann sehen sie sich in die Augen und strubbeln sich danach liebevoll durch die Haare. Und um den verwahrlosten Balli für seinen ersten Kuss vorzubereiten, setzt Konni ihn kurzerhand in die Badewanne und wäscht ihn.

In dieser hoffnungslos grauen Szenerie, in der die Jungen sich eine Zigaretten nach der anderen anzünden und aus Kindern Schläger werden, gibt es nicht viel Raum zum Aufatmen – doch es gibt ihn. Nämlich dann, wenn die Jungen entdecken, dass es in Ordnung ist, wenn es ihnen nicht so gut geht. Oder wenn sie entdecken, dass sie mit ihren Traumata nicht allein sind.

 „Zukunftstraum“

Berdreymi zeigt vor allem Jungen, die viel zu schnell aufwachsen. Sie kämpfen sich durch eine Kindheit voller Schläge, Vernachlässigung und sexueller Gewalt. Was ich später erfahre: Das isländische Wort „Berdreymi“ heißt übersetzt Zukunftstraum. Das ist besonders berührend, weil der Film mit einem solchen Zukunftsszenario endet. Durch einen gewaltsamen Überfall beschützen die Jungen Balli vor seinem aus dem Gefängnis entlassenen Stiefvater. Balli deckt sie im Gegenzug bei der Polizei und beschützt sie vor den strafrechtlichen Konsequenzen ihrer Aktion.

Damit rückt Ballis Zukunft ein bisschen weiter weg von seinem gewalttätigen Elternhaus. Auch wenn die Wunden damit wohl noch nicht verheilt sind: Die Jungen machen die Erfahrungen, dass Schreckliches ein bisschen weniger schrecklich wird, wenn man Freunde hat.


Foto: Sturla Brandth Grøvlen / Join Motion Pictures