Das Angebot von Dating-Apps hat sich in den vergangenen Jahren deutlich vergrößert. Das liegt auch daran, dass die Ansprüche ans Online-Dating gewachsen sind. Tinder für den Casual Sex, Bumble für schüchterne Männer und OkCupid für mehr Diversität: Was ist an diesen Labels dran?
Ein Sozialökonom mit dem Namen Worst Online Dater stellte sich 2017 die Frage: „Warum bekomme ich keine ‘Hot Dates’ ab?“ In einer nicht repräsentativen Studie kam er zu dem Ergebnis, dass für den Normalo-(Cis)-Mann Tinder nich funktioniere. Im Prinzip sei Tinder sogar unfairer als Volkswirtschaften wie Angola. Worst Online Dater verschweigt in seiner Analyse, dass Tinders Algorithmus vom Swipe-Verhalten seiner Nutzer*innen lernt wie jede andere Dating-App auch. Während für ihn das männliche Swipen per se korrekt ist, bezeichnet er das der Frauen indirekt als falsch.
Für ihn scheint Tinder zum erweiterten Jagdrevier der Männerwelt geworden zu sein. Weil Tinder als damaliger Platzhirsch unter den Dating-Apps viele solcher Männer ansprach, reproduzierten sich auch deren heteronormative Muster auf den Algorithmus. Erst 2019 führte die App andere sexuelle Orientierungen ein. Suchten Nutzer*Innen ein diverseres Angebot, gab es bis zu diesem Zeitpunkt bereits andere Apps, zum Beispiel Bumble.
„Machos total.“
An dieser Stelle ist die Meinung einer guten Freundin gefragt. Maike*, 27, studierte an der UdK (Universität der Künste) Bildende Kunst und ist auch sonst ein Mensch, den ich als open minded bezeichnen würde. Wir sprechen häufig übers Dating. Sie empfahl mir Bumble.
Im Gegensatz zu Tinder erkannte ich hierin eine klare Chance für Cis-Männer wie mich, die eher ungerne den ersten Schritt wagen. Denn für viele heterosexuelle Männer ist es schön, wenn die Frau den ersten Schritt macht und nicht umgekehrt. Das wird aber nicht der Kerngedanke von Bumble-Gründerin und CEO Whitney Wolfe Herd sein. Das 2014 gegründete Bumble ging dieses Jahr an die Börse. Die App ist die zweitgrößte nach Tinder und in Herds Unternehmen sind 82 Prozent der Angestellten Frauen. Das muss einen Grund haben.
Und der liegt bei Tinder. Whitney Wolfe Herd war Mitbegründerin von Tinder, neben fünf Männern, die mit ihrem Verständnis des offenen Kanals (bei einem Match darf jeder jedem schreiben) die App prägten. Wolfe Herd stach als Frau heraus und verließ Tinder nicht zuletzt aufgrund übergriffiger Äußerungen Seitens ihrer männlichen Kollegen. Selbst eine Dating-Plattform zu gründen, beschreibt Herd der deutschen Vogue wie folgt:
„Ich finde, wir müssen das Verständnis davon verändern, wessen Rolle was ist, und aufhören, Menschen Verantwortung je nach Geschlecht zuzuweisen. Gleichberechtigung in Beziehungen beginnt beim Dating. Deshalb gibt es Bumble, und deshalb machen Frauen auf Bumble den ersten Schritt.“
Aber wieso ist jetzt Maike auf Bumble? „Ach bei Tinder hat´s mich genervt, dass man von jedem x-beliebigen Menschen einfach angeschrieben wurde“, sagt sie. Zwar habe sie nie ein Dick-Pic erhalten, dennoch hätte es übergriffige Nachrichten via Tinder gegeben. Fast normal sei es gewesen, dass Männer sie wiederholt anschreiben, ohne dass sie auf die Nachrichten auch nur eingegangen wäre. Hinzu kam die Art der Kommunikation: „Es war schon prollo auf Tinder. Machos total. Ich hatte das Gefühl, dass die Typen auf Bumble einfach netter waren, einfach ernsthafter. Die wollten nicht nur ficken.“
Und die zahllosen Chats? „Ich mag Bumble. Wenn ich nicht antworte, löscht sich der Chat irgendwann von selbst“, antwortet Maike. Sie habe somit nicht dutzende offene Gespräche mit fremden Männern und werde auch nicht von vielen mit Nachrichten überschüttet. Auf Plattformen wie Tinder sei das für sie ein gängiges Problem gewesen.
Bessere Matches für Alle!
Und dann gibt es noch OkCupid, eine Plattform die mit Slogans wie „bessere Matches für alle!“ wirbt. Die Plattform wirbt für sich als progressive App. „Date jemanden, der*die genauso progressiv ist wie du!“, steht auf einem großen Plakat im U-Bahnhof Zoologischer Garten.
Das OkCupid divers ist, zeigen vor allem die Funktionen: Schon vor Tinder und Bumble bot die App bereits sehr umfangreiche Optionen zur eigenen Geschlechtsidentifikation und sexuellen Orientierung an. 22 Geschlechter und 13 sexuelle Orientierungen stehen zur Auswahl, sowie ein umfänglicher, kreativer Fragenkatalog zur eigenen Persönlichkeit. Individuelle Fragen gibt es zwar auch auf Bumble, aber OkCupid setzt da noch eine Schippe drauf. Bis zu 500 Fragen können User*innen beantworten, um den Status eines „Genies“ zu erreichen.
Wie divers die App nun wirklich ist, wollte ich von Alisa* wissen. Sie ist 26, queer und lebt zusammen mit ihrem Partner teils polygam und teils polyamorös. Ihr falle es schwer ihre Beziehung zu labeln, sagt sie. Auf OkCupid machte sie jedoch die Erfahrung, dass Sexualisierung eine große Rolle spielt. Für sich und ihren Freund jemanden zu finden, der ihre Werte von Empathie und Respekt teile, sei schwierig gewesen. Antworten auf ihre Fragen erhielt sie keine. Je direkter sie ihren Wunsch jedoch äußerte, desto direkter war das Feedback.
„Ich war irritiert, weil wir ja nicht sofort im ersten Satz sexualisiert werden wollen. Eigentlich möchten wir einen respektvollen Umgang miteinander haben und ich hatte das Gefühl, dass ich mit meinem respektvollen Umgang nicht den Nabel der Zeit treffe“, sagt Alisa.
Das Konzept, mit dem OkCupid bei User*innen wirbt, gefällt ihr nur zum Teil. „Ich hatte alle Gender in meinem Filter, beziehungsweise in meinem Filter mit aufgenommen. Ich fand es schön, dass OkCupid versucht diese Diversität anzubieten und dem eine Plattform bietet. Trotzdem waren binäre und Transidentitäten auf OkCupid nicht viel vertreten.“
Der Algorithmus neigt zur Reproduktion unbewusster Verhaltensmuster
Auch wenn uns Plattformen wie Tinder, Bumble oder OkCupid die große Liebe versprechen, leben sie von ihren aktiven Nutzer*innen. Damit diese der App erhalten bleiben, ist individuell optimierter Content entscheidend.
Der verhaltensoptimierte Matching-Algorithmus spielt eine gewichtige Rolle. Denn mit jedem Swipe, jeder beantworteten Frage und jedem Multiple-Choice-Test füttern wir den Algorithmus der jeweiligen Dating-Plattform – und das macht jede der drei Apps in gewisser Weise auch oberflächlich.
Swipen wir zum Beispiel immer Menschen mit denselben uns sympathischen Merkmalen nach rechts, wird der Algorithmus uns auch immer mehr potenzielle Matches dieser Art anzeigen. Der Algorithmus neigt also dazu, unsere bereits bestehenden Dating-Muster zu bedienen. OkCupid macht das etwa ganz bewusst mit seinem Filter „Match“. In dieser Sektion werden mir zum Beispiel nur Frauen angezeigt, die eine 85 bis 95 prozentige Gemeinsamkeit mit meinen eigenen Vorstellungen aufweisen. Wie beta stories vom Bayrischen Rundfunk in einem Video erklären, kann der Algorithmus dadurch unbewusste Verhaltensmuster und Stereotype reproduzieren.
Progressivität lässt sich heute gut verkaufen, dass ist kein Geheimnis mehr. Dass sie jedoch mittlerweile auf den größten Dating-Plattformen zur Selbstverständlichkeit gehört, ist in Zeiten wachsender Intoleranz das richtige Signal. Nicht zuletzt geht es um den Wert eines jeden Menschen an sich, und der sollte immer gleich sein.
Trotz Matching-Algorithmus arbeiten Dating-Plattformen heute daran, der Diversität unserer Gesellschaft gerechter zu werden. Und Worst Online Dater scheint sein Glück gefunden zu haben. Zumindest ist es auf seinem offiziellen Blog, auf dem er sein misslungenes Dating-Leben öffentlichkeitswirksam zur Schau stellte, seit einem Jahr still.
*Die Namen wurden von der Redaktion geändert.
Foto: Nils Katzur