Seit dem Beginn der Corona-Pandemie vor einem Jahr findet das studentische Leben nur noch in den eigenen vier Wänden statt. In politischen Debatten hatte es bisher gar keinen Platz. Daran möchte die Initiative “Nicht nur online” etwas ändern – und versteigert zum Auftakt das Hauptgebäude der HU.

Von den knapp 200.000 Studierenden der Berliner Hochschulen haben sich ca. 70 vor dem Hauptgebäude der Humboldt Universität eingefunden, um der symbolischen Versteigerung des Palais beizuwohnen. Einige haben Plakate mitgebracht auf denen zu lesen ist: „Unsere Situation ist so mies wie das Wetter.“ Die Organisator*innen der Initiative Nicht nur Online selbst haben große Banner am Zaun befestigt auf denen steht: „Was ist euch unsere Bildung wert?“ Vielleicht haben die Übrigen nach den langen Monaten im Online-Semester einfach den Weg zur Adresse Unter den Linden 6 vergessen – an der schlechten Verkehrsanbindung kann die niedrige Teilnehmerzahl nicht liegen, denn die betont Benedikt Gehlken neben den 38 Toiletten als besonderen Vorzug des Gebäudes. Gehlken ist eigentlich Philosophiestudent, mimt aber den humorvollen Auktionsleiter.

Das Einstiegsgebot von 1.000.000 Euro wird wegen den klammen Geldbeuteln der Anwesenden – augenscheinlich nur Studierende und ein paar Dozent*innen – schnell auf einen Euro nach unten revidiert. Das es gerade aber nicht nur am Geld mangelt, wird deutlich, wenn man die Studierenden fragt, warum sie heute gekommen sind. Johanna und Cosima (beide Bild- und Kunstgeschichte, 1. Semester) wünschen sich etwa, dass im Sommersemester zumindest eine Präsenzveranstaltung pro Woche stattfinden kann, denn: „Johanna ist bis jetzt die Einzige, die ich in meinem Studiengang kennengelernt habe.“ Auch Johannes (6. Semester, Maschinenbau) betont, dass es im Studium nicht nur darum gehe LPs zu sammeln, sondern auch Erfahrungen und dass der Austausch mit anderen Studierenden gerade fehle. Aber dass an manchen Stellen zu viel menschliche Nähe ebenfalls stören kann, beschreibt Hilario (Philosophie und Sowi, 3. Semester): „Ich liebe meine Mitbewohner zwar wirklich, aber ich muss sie nicht ständig hören, wenn ich meine Hausarbeit schreibe.“ Er fordert deswegen, dass die Arbeitsplätze in den Bibs wieder geöffnet werden.

„Die Gesellschaft kann die Auswirkung des Lockdowns auf die psychische Gesundheit der Studierenden nicht mehr vertreten.“

Inzwischen schnellen die ersten Hände nach oben und die Anwesenden überbieten sich im Rennen um das Hauptgebäude gegenseitig mit Dönern, Bier und überschwänglichen Cent-Beträgen. Im Hintergrund dröhnt ein Pink Floyd-Klassiker – sarkastische Neuinterpretation auf einem der Plakate: „another brick in the video call“.

„Das so fantasielos und so lahm an die Sache rangegangen wird und keine kreativen Konzepte ausgearbeitet werden, ist auch für Professoren enttäuschend“, sagt Prof. Dr. Christian Waldhoff, vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Finanzrecht. Er hielte beispielsweise das AudiMax an der Charité für angemessen um dort kleine Lehrveranstaltungen abzuhalten. Immerhin sei es mit einer Belüftungsanlage ausgestattet und im Normalfall für bis zu 450 Studierende ausgelegt.

Prof. Dr. Franziska Pundt, Professorin für Psychologie an der FHM, vertritt eine ähnliche Sicht. Sie sagt: „Ich war auch entsetzt, dass die Unis nicht auf den Öffnungsplänen standen. Die Gesellschaft kann die Auswirkung des Lockdowns auf die psychische Gesundheit der Studierenden nicht mehr vertreten. Es gibt Hygienepläne – die sind gut umzusetzen. Und wenn man heute darüber diskutiert, ob man wieder auf Malle Urlaub machen kann aber nicht darüber, ob man die Unis wieder aufmachen können, dann finde ich das inakzeptabel.“

„Wir fordern nicht, dass die Uni von heute auf morgen wieder aufgemacht wird, sondern dass erstmal Konzepte entstehen.“

Der wissenschaftliche Mitarbeiter Roberto Lo Presti wendet sich mit einer emotionalen Rede an die Versammelten. Er hätte in seinen Kursen eine Traurigkeit und Frustration beobachtet, wie er sie in elf Lehrjahren noch nicht erlebt hat. Er könne es nicht länger tolerieren, dass seit Beginn der Pandemie, die Systemrelevanz des universitären Lehrbetriebs in Präsenz, in Vergessenheit geraten ist und eine ganze Generation von Studierenden aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden und für die Gesellschaft unsichtbar geworden ist.

Bei 16 Euro und zwei Dönern stockt die Auktion erstmal – ob den Anwesenden Bildung wirklich nicht mehr wert sei, ruft Gehlken. Auch Prof. Dr. Axel Metzger, Dozent am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Immaterialgutrecht, sieht die Studierenden mehr in der Pflicht. Er sagt: „Es wird zurecht bemängelt, dass keine Debatten stattfinden. Das liegt aber vor allem auch daran, dass sich die Studierenden aktivieren müssen. Es liegt an ihnen, mehr auf die Bedeutung der Präsenzlehre hinzuweisen.“

Eben das wird von der Initiative Nicht nur Online gemacht. „Wir fordern nicht, dass die Uni von heute auf morgen wieder aufgemacht wird, sondern dass erstmal Konzepte entstehen. Wir wollen einfach eine Map haben, damit wir wissen welche Rahmenbedingungen erfüllt sein müssen, damit, die Unis wieder aufmachen – also müssen 50 % geimpft sein oder müssen 70 % geimpft sein? Es gab überall Öffnungen und Schließungen, nur die Schranken für Universitäten sind sehr hoch gesetzt“, sagt Gehlke. „Die Philosophen haben die Welten unterschiedlich interpretiert aber es geht darum sie zu verändern“, rezitiert er den Marx-Spruch aus der Eingangshalle und fügt hinzu: Ob das zwischen zwei Notebooks funktioniert, sei mal dahin gestellt. „Wir sind einfach kein Thema – weil bei uns muss kein Elternteil zuhause bleiben, wir sind nicht Teil der Wirtschaft. Wir müssen irgendwann die Rente von Leuten bezahlen, aber wie wir dahin kommen ist erstmal egal.“

Am Ende kommt „der Schinken“ für satte 86 Euro und zwei Flaschen Club Mate unter den Hammer. Mal sehen, ob die Politik den Universitäten mehr Wert beimisst.


Mehr Infos zu den genauen Forderungen der Initiative “Nicht Nur Online” ebenso wie Ankündigungen zu weiteren Veranstaltungen findet ihr auf ihren Social-Media-Kanälen auf Instagram, Facebook und Twitter.

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