In einer WhatsApp Gruppe werden Holocaust relativierende Nachrichten verschickt. Drei Studierende wollen dagegen vorgehen und wenden sich an die Antidiskriminierungsberatung des RefRats– zunächst mit wenig Erfolg.

Marie* kommt aus Israel. Schon vor Studienbeginn an der HU wurde ihre Herkunft für sie zum ungebetenen Gesprächsthema. Im Oktober wurde Marie bei einem Kennenlern-Treffen der Studierenden aus ihrem Studiengang von einem Kommilitonen, der ihr bis dahin völlig unbekannt war, mit israelkritischen und Holocaust relativierenden Aussagen konfrontiert. Die Werte ihres Heimatlandes Israel entsprächen nicht den seinen. Das könne er nicht akzeptieren. Und obwohl Marie klarmachte, dass sie nicht über ihre Herkunft reden möchte, ließ der Kommilitone nicht von ihr ab, stattdessen teilte er ihr auch noch mit, dass er Nazis nicht hassen könne, da sein Großvater selbst einer gewesen wäre. “Nach diesem Gespräch habe ich das Kennenlern-Treffen sofort verlassen und habe angefangen zu weinen. Für mich war es sehr schwer, gleich mit so etwas das Studium zu beginnen.”

Nur kurze Zeit später versendeten in einer WhatsApp-Gruppe des Studiengangs drei Personen, unter anderem der Kommilitone, der Marie bereits ansprach, antisemitische Memes, auf denen unter anderem Anne Frank-Vergleiche, Hakenkreuze und Hitler-Bilder zu sehen waren. Oliver* und Lea*, Kommilitonen von Marie, haben das Geschehen in der Gruppe mitverfolgt. Dazu sagt uns Oliver: “Die versendeten Bilder sind nicht nur demokratiefeindlich, sie sollten auch wirklich nicht den Werten der Humboldt Universität und dessen Studierenden entsprechen.” Nur Oliver und Lea sprachen sich gegen die Bilder aus — ohne Erfolg. Die drei Versender ließen sich den Mund nicht verbieten und amüsierten sich über die Empörung der beiden.

Lea, Marie und Oliver wandten sich daraufhin erst an die eigene Fachschaft, dann an die Antidiskriminierungsberatung des RefRats und baten um Hilfe, die sie zunächst jedoch nicht bekamen. Die Antidiskriminierungsberatung des RefRats konzentriere sich auf Fälle im Hochschulkontext, hieß es in einer Email, die der UnAuf vorliegt. Marie, Oliver und Lea sollten sich an eine Beratungsstelle wenden, die helfen würde, die Nachrichten an das Cybercrime-Team der Polizei weiterzuleiten. Nach erneutem Nachhaken, konnten die drei schließlich doch noch ein gemeinsames Gespräch mit Henri Armke, dem Referent für Antifaschismus, vereinbaren. “Dabei machte Herr Armke uns Mut, an der Sache dranzubleiben”, erinnert sich Oliver. Das Ergebnis des Gesprächs ist aktuell noch schwer einschätzbar — ein weiteres Treffen steht aus. Auch die Möglichkeit, eine Anzeige gegen die Studierenden zu stellen, die in der Chatgruppe strafrechtlich relevante Bilder versendeten, steht derzeit noch im Raum.

Studierendenparlament hat Einrichtung einer Antisemitismusberatung beschlossen

In einer aktuellen Pressemitteilung des RefRats, macht Herr Armke deutlich: “Es hat sich gezeigt, dass bisherige Strukturen nicht ausreichend waren, um eine angemessene Beratung und Dokumentation in solchen Fällen zu gewährleisten. Deshalb hat das Studierendenparlament am 10.12.20 die Einrichtung der bundesweit ersten Antisemitismusberatung an einer Hochschule beschlossen. Wir möchten ein niedrigschwelliges Beratungsangebot für von Antisemitismus betroffene Studierende schaffen. Wir halten es angesichts des immer weiter zunehmenden Antisemitismus für eine dringende Notwendigkeit, mit den Betroffenen solidarisch zu sein und ihnen beratend zur Seite zu stehen.”

Oliver, Lea und Marie sind zwar froh, dass sich in Zukunft etwas ändern soll, bedauern aber, nicht persönlich von der Universität kontaktiert worden zu sein. “Ich habe weiterhin das Gefühl, dass Vorfälle wie unserer salonfähig bleiben und eine unmittelbare Gefahr für unsere Gesellschaft darstellen. Über die erste Rückmeldung, die ich von der Antidiskriminierungsstelle erhielt, bin ich noch immer mehr als enttäuscht, aber es zeigt wenigstens, dass wenn man dran bleibt, auch etwas erreichen kann”, sagt Oliver. Und auch Lea kann sich nur wenig freuen: “Jetzt wollen sie eine Stelle einrichten, aber in unserem speziellen Fall konnte nichts gemacht werden. Das kann ich nicht verstehen.”

Lieber ein Rassismus-Seminar als die Exmatrikulation

Trotz der Vorfälle kommt für Marie beispielsweise eine Exmatrikulation ihrer Kommilitonen nicht infrage: “Die drei sollten lieber ein Seminar über Toleranz und gegen Rassismus besuchen müssen. Es geht mir weniger um die Bestrafung der Personen. Werden die drei exmatrikuliert, bekommen sie das Gefühl, hier nicht offen sprechen zu können. Das hat zur Folge, dass sie nur noch mit Personen sprechen, die ihre Meinung vertreten. Das kann viel schlimmere Konsequenzen haben.”

Und mit diesem Vorschlag möchte sich Marie auch an die HU wenden: “Da jegliche Form von Diskriminierungen unter Studierenden nicht nur in unserem Studiengang eine Rolle spielt, möchte ich vorschlagen, dass wir, alle Erstsemester, ein einmaliges verpflichtendes Seminar zu den Themen Toleranz und Interkulturalität besuchen. Wir können nur durch gemeinsame Diskussionen unser Verantwortungsbewusstsein erweitern.”

Wie die Universität, insbesondere der RefRat und seine Antidiskriminierungsstelle, in Zukunft mit solchen Vorfällen umgeht und wie der Aufbau einer Beratungsstelle für Antisemitismus verläuft, wird sich zeigen. Grundsätzlich muss gelten, dass von Antisemitismus und anderen Diskriminierungsformen betroffene Studierende unter keinen Umständen mit ihren Anliegen allein gelassen werden — insbesondere an der HumboldtUniversität, deren Historie geprägt ist von der Diffamierung und Vertreibung jüdischer Wissenschaftler*innen, Dozent*innen und Student*innen zur Zeit des Nationalsozialismus.

*Namen von der Redaktion geändert

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