Der Internationale Frauentag wird immer häufiger als Feministischer Kampftag bezeichnet. Damit vom Feminismus wirklich alle etwas haben, muss er intersektional sein, sagt Orlando Brix.
Wir alle feiern ihn – schon alleine deshalb, weil wir in Berlin seit 2019 einen zusätzlichen Tag frei haben! Offiziell wird er Internationaler Frauentag genannt, es werden Blumen verschenkt und Sekt gefrühstückt. In aktivistischen Kreisen hat dieser Tag jedoch eine andere Bedeutung. Schwarze Frauen, behinderte Frauen, Women of Colour, trans und inter Menschen und viele andere marginalisierte Gruppen nehmen den 8. März zum Anlass, um sich Gehör zu verschaffen. Was ist ihre Motivation?
Der 8. März als Frauentag ist also für Frauen gedacht. Damit sind doch alle Frauen eingeschlossen, oder? Egal ob Schwarz, of colour oder weiß, behindert oder nichtbehindert, arm oder reich, dick oder dünn. Warum können diese Frauen nicht einfach den 8. März feiern? Der Knackpunkt ist die mangelnde Intersektionalität.
Intersektionalität ist ein Begriff, den die US-amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw prägte. Demnach sind verschiedene soziale Kategorien nicht voneinander isolierbar. Sie erklärte diese Verflechtung von Marginalisierungen am Beispiel von Schwarzen Frauen in der Arbeitswelt. Es reicht nicht, die Diskriminierungserfahrungen von weißen Frauen und Schwarzen Männern zusammenzurechnen. Rassismus und Sexismus existieren nicht nebeneinander, sondern ergeben spezifische Diskriminierungsmuster.
Welche Auswirkung hat das auf den Feminismus?
Vor allem der von weißen cis Frauen geprägte Feminismus seit den 1960er Jahren fokussiert sich auf Frauensolidarität. Egal, welche Differenzen bestehen – es sind doch alles Frauen. Das würde suggerieren, dass Schwarze Frauen oder trans Frauen ihre anderen Identitätsmarker gewissermaßen an der Garderobe abgeben müssen. Es sind nämlich weiterhin weiße, nichtbehinderte cis Frauen, die die Norm darstellen. Außerdem würde das bedeuten, dass marginalisierte Frauen und trans Menschen keinen Raum bekommen, über ihre Diskriminierungserfahrungen zu sprechen. Rassismus, Ableismus (Behinderungsfeindlichkeit) und Transfeindlichkeit können auch in feministische Räumen passieren. Für Schwarze Frauen sind ihre Erfahrungen mit Sexismus oft nicht von Rassismus zu trennen. Trans Frauen erleben Misogynie und Transfeindlichkeit. Während weiße, nichtbehinderte cis Frauen also in ihrer Ganzheit existieren dürfen, müssen mehrfachdiskriminierte Menschen Teile ihrer Identität, ihrer Erfahrungen und Marginalisierungen in feministischen Räumen außen vor lassen.
Gut, wir haben also gemerkt, dass es zwischen Frauen sehr große Unterschiede gibt und, dass es wichtig ist, diese Unterschiede zu benennen. Was haben jedoch Menschen damit zu tun, die keine Frauen sind, weil sie zum Beispiel trans Männer oder nicht-binäre Menschen sind?
Wenn wir ein intersektionales Verständnis von Feminismus haben, erkennen wir auch an, dass es mehr als die zwei gesellschaftlich anerkannten Geschlechter gibt. Feminismus macht sich primär zur Aufgabe, das Patriarchat und seine Unterdrückungsformen wie Sexismus, Misogynie, Transfeindlichkeit und Heteronormativität zu bekämpfen. Davon sind weit mehr als nur Frauen betroffen. Viele transmännliche Menschen haben in ihrem Leben sexuelle Belästigung erfahren. Je nachdem, wie eine trans Person wahrgenommen wird, erleben auch viele von ihnen im Alltag Misogynie oder werden schlechter bezahlt. Nicht alle Menschen, die ein F im Pass haben, sind auch Frauen. Nicht alle Menschen, die gebären, sind Frauen. Im Rahmen des Feministischen Kampftags ist es also wichtig, anzuerkennen, dass nicht nur (cis) Frauen von diesen Diskriminierungserfahrungen betroffen sind und dass trans, inter und nicht-binäre Menschen außerdem spezifischer Unterdrückung ausgesetzt sind.
Feminismus widmet sich dem großen Ganzen. Dafür sollten mehrfachdiskriminierte Gruppen nicht ihre Forderungen und Ziele aufgeben müssen, im Gegenteil! Erst durch die Pluralität von Erfahrungen und Diversität von Selbstverständnissen kann Feminismus den steifen Normen des Patriarchats entgegenwirken! Dafür kämpfen wir das ganze Jahr. Warum nicht auch am 8. März?
Anmerkung: In diesem Text werden cis und trans als Adjektive, getrennt vom Nomen geschrieben. Damit soll verdeutlicht werden, dass es sich dabei um nur eine Eigenschaft eines Menschen handelt.